Clara Lefering für #kkl50 „Hingabe“
Schnittblumen
Nein, sicherlich nicht. Nach so langer Zeit kommt niemand mehr zurück. Wer so lange weg war, ist gegangen, um fortzubleiben. Sie hat uns zurückgelassen. Vielleicht hat sie uns schon vergessen. Wie lange braucht es wohl, um uns zu vergessen? Offenbar nicht lange. Ja, offenbar.
Es sieht alles so ruhig und friedlich aus, wenn sie nicht da ist. Die Küche ist so still. Ich weiß gar nicht, ob ich noch glauben kann, dass Wasser aus dem Hahn da vorne kommt, wenn ihn jemand aufdreht. Ich habe es so lange nicht mehr gesehen. Wenn man etwas zu lange nicht mehr gesehen hat, glaubt man nicht mehr daran. Aus dem Hahn da vorne kam doch Wasser, oder? Ich weiß es nicht mehr.
Vielleicht kommt sie ja doch zurück? Nein, wie kommst du darauf? Sie ist immer noch zurückgekommen. Sie war auch noch nie so lange weg. Doch, sie ist immer lange weg. Nein, nicht so lange. Jetzt ist sie wirklich fort. Ich kann das nicht glauben. Ich kann nicht glauben, dass diese leere Küche das letzte ist, was wir sehen. Fang lieber damit an, es zu glauben. Du willst doch von dem Ende nicht überrascht werden, oder?
Was soll denn das heißen? Wie soll mich das einzige, ja das wirklich einzige, dessen ich mir sicher bin, denn überraschen? Alles könnte anders sein, weißt du, wirklich alles. Bis auf eine Sache: Das Ende kommt. Irgendwann muss es ja kommen. Wie meinst du, könnte mich das überraschen?
Es ist wie mit allen anderen Sachen auch: Wenn wir sie nicht oft genug sehen, glauben wir nicht mehr daran. Und das ist das Verrückte, du kannst dein eigenes Ende nicht sehen. Oder vielleicht doch? Dann aber sicher erst in dem Moment, in dem es da ist, und da hat es dich dann eben schon überrascht. Ich glaube, du kannst gar nicht anders, als dich von dem Ende überraschen zu lassen. Vielleicht ist das auch gar nicht so schlecht. Hast du es nicht satt, auf den Tod zu warten?
Ich warte nicht auf den Tod, ich lasse ihn auf mich zukommen. Auf das Nichts warten, was für eine unsinnige Idee. Da hätte man mich auch gleich unter der Erde lassen können. Auf das Nichts kann man nicht warten. Man kann nur auf etwas warten. Und ich warte auf sie. Mach mir das ruhig weiter schwierig, versuch doch, mich davon abzubringen. Ich werde warten. Ich halte meinen Kopf nur noch über Wasser, um noch einmal ihr Lächeln zu sehen, wenn sie uns anschaut. Damit habe ich offenbar ein erfüllteres Leben als du. Wofür lebst du denn?
Offenbar, um dir die Wahrheit klarzumachen. Sie kommt nicht mehr wieder. Und du verschwendest nur deine Energie, wenn du weiter versuchst, hübsch für die auszusehen. Ist dir klar, dass du das alles umsonst machst? Dass du dich streckst und abrackerst für niemanden?
Schönheit ist niemals vergeblich. Selbst wenn sie mich nicht sieht, na und? Dann bin ich einfach für die Welt schön. Ich bin umgeben von so viel Schönheit, siehst du nicht die Sonne dort durch das Fenster fallen? Und ich bin ein Teil von dieser Schönheit. Ich hoffe natürlich, dass sie mich noch einmal sieht. Aber wenn nicht, dann habe ich hier etwas Schönheit in die Welt gegossen, und auch das wäre nicht sinnlos.
Du kannst schöne Märchen erzählen. Und glaube mir, ich verstehe, wieso. Mir würde es auch besser gehen, wenn ich an so etwas glauben könnte. Kann ich aber nicht. Und du machst dir auch nur etwas vor, ich weiß es. Irgendwo in dir weißt du genauso gut wie ich, dass sie nicht zurückkommt. Und trotzdem willst du dem Rest deines Lebens irgendeinen Sinn verleihen, du belügst dich selbst sehr fleißig, aber das wird dir nichts bringen. Je näher man dem Tod kommt, umso deutlicher tritt die Klarheit hervor. Hör auf mit der Suche nach einem Sinn. Lass die jungen Pflanzen suchen, die gerade erst aus der Erde sprießen. Sollen die noch an einen Sinn im Leben glauben. Meine Blätter sind vertrocknet. Und von dieser Seite erkenne ich endlich, dass es so etwas wie einen Sinn im Leben nicht gibt. Du bist genauso am Verdursten wie ich. Du musst das doch auch sehen.
Wenn ich mich selbst belüge, dann lüge ich gut. Lass mir doch meine Hoffnung und meinen Sinn. Vielleicht gibt es nur Sinn, wenn wir uns selbst vormachen, es gäbe einen. Aber deine zynischen Flüche treffen mich nicht. Denn am Ende ist es egal, ob ich mir den Sinn selbst vormache oder nicht. Es gibt ihn, ich habe ihn erschaffen. Vielleicht wird sie mich nie wieder anlächeln. Vielleicht bin ich dafür nicht mehr schön genug. Doch die Hoffnung treibt mich weiter. Vielleicht läuft sie ins Leere. Und vielleicht wirst du mir sagen, dass es gar nicht meine Aufgabe ist, sie glücklich zu machen, sie zum Lächeln zu bringen. Doch, ich habe es zu meiner Aufgabe gemacht. Du magst mich einen verblendeten Träumer nennen, doch die Wahrheit ist, ich habe wenigstens noch Kontrolle darüber, wie ich mein Leben sehe. Du hingegen, du hast dich überwältigen lassen von der Verzweiflung deiner Endlichkeit. Ich habe meine im Griff. Die Dürre wird mich trotzdem nicht verschonen, doch ich werde einen Heldentod sterben, und du weißt nicht einmal, was das bedeutet.
Gut, sing dir weiter deine Schlaflieder. Ich werde mit dem Wissen sterben, dass ich versucht habe, die Welt zu verstehen. Das kannst du dann wohl nicht von dir behaupten? Nein, vielleicht nicht. Ich werde mit dem Wissen sterben, dass ich es geschafft habe, eine Welt zu erschaffen. Gut, wenn dir das reicht. Gleichfalls.
Hörst du das? Ich glaube, sie kommt die Treppe hoch.
Das bildest du dir ein. Kannst du überhaupt noch was hören? Meine Blüten sind alle schon zu Boden gefallen. Es ist nicht mehr genug von mir übrig, um noch in der Welt zu sein.
Doch, sie ist es sicher. Hör nur, sie schließt die Tür auf. Siehst du, wie Licht durch den Spalt hineinfällt?
Nein, natürlich sehe ich es nicht. Die Welt zieht sich zurück. Ich bin allein im Dunkeln. Lass mich sterben. Es bleibt sonst nichts mehr.
Doch, schau doch nur! Es hat sich gelohnt, all mein Warten hat sich gelohnt! Sie sieht uns! Ich glaube, sie lächelt. Ich kann meinen Kopf kaum noch halten. Doch es hat sich gelohnt! Warte auf mich, nun kann ich mit dir gehen.
Im Tod wartet niemand. Stirb für dich alleine.
Aber lass uns doch gemeinsam gehen. Ich werde deine Stimme so vermissen.
Dann vermisse sie doch, du kannst gleich damit anfangen. Aber lass mich in Frieden.
Frieden werde ich dir lassen. Vielleicht das Einzige, was du noch hast.
Das ist eine Menge.
Dann lass dich nicht aufhalten.
Es gibt nichts, das mich aufhalten kann.
Sie lächelt auch dich an.
Ach ja?
Ich glaube, sie hebt deinen Kopf noch einmal an.
Das ist mir völlig egal. Im Tod gehört man jedem, aber nicht mehr sich selbst.
Du zynische, alte Rose.
Du naives, altes Vergiss-mein-nicht.
Es war mir eine Ehre, neben dir zu sterben.
Nimm dir, was du brauchst.
Ich brauche nichts mehr.
Dann sind wir uns endlich einig.

Clara Lefering war sie schon immer eine begeisterte Musikerin. Anschließend an ihre Schulzeit studierte sie zunächst Mathematik und Musik auf Lehramt mit Hauptfach Trompete an der Universität Münster. Zusätzlich engagierte sie sich in vielen musikalischen Ensembles. Nach ihrem Abschluss begann sie ein weiteres Studium im Fach Philosophie. Neben dem Studium arbeitet sie unter anderem als Instrumentallehrerin, Trompeterin und Dirigentin.
Elsa Lefering hat schon in ihrer frühen Kindheit damit angefangen, die Bilder in ihrem Kopf auf verschiedene Oberflächen zu gießen. Diese Fähigkeit entwickelt sie bis heute weiter.
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