Ein totes Baby

Magda Lena Runer für #kkl50 „Hingabe“




Ein totes Baby

In diesem Titel ist was falsch. Das, was ich gesehen habe, kann nicht richtig sein. Ein Widerspruch in der Wortkombination, ein totes Baby, das stimmt doch nicht.
Eine Sectio, Kaiserschnitt im Volksmund. Ganz normal, wie immer. Aber das hier ist nicht normal. Kein Muskeltonus, nichts wird angespannt, der Chirurg das Baby traurig in der Hand. Die OP läuft weiter, die Plazenta muss raus, dann wird alles wieder zugenäht.
Die Plazenta nennt man in der deutschen Sprache Mutterkuchen. Das ist ein schönes Bild, ein Kuchen, der das Ungeborene im Bauch ernährt. Etwas Süßes, etwas, von dem sich alle gerne ernähren.
Auch dieses Bild stimmt hier nicht. Wollte das Baby den Kuchen nicht mehr? Die Plazenta, der Mutterkuchen, wird bei einer Spontangeburt als Nachgeburt geboren. Das Baby genießt die Nähe der Mutter, liegt auf ihrer Brust, während das Wehenhormon, Oxytocin, nochmal seine Arbeit macht und den Mutterkuchen auf die Welt befördert.
Das Baby hier schreit nicht. Das Kleine hat die Augen ruhig geschlossen, wirkt friedlich. wie alle Neugeborenen wird es abgerubbelt, aber die Haut wird nicht rosa. Der Mund steht leicht offen. Die Finger sind steif.
Während geschäftiges Treiben im OP – Saal herrscht, während alle ihre Arbeit tun, liegt das Neugeborene in einer weißen Wiege und ist auf eine sehr leise Art laut. Deutlich spüren alle seine Präsenz.
In diesem Bild ist was falsch, was ich hier sehe, kann nicht richtig sein. Ein Widerspruch indiesem Anblick, ein totes Baby, das stimmt doch nicht.
Das ist unnatürlich. Eine Situation, die sonst Tränen in die Augen treibt, Freudentränen, die den Atem anhalten lässt und in Glücksrausch versetzt, ist jetzt der Ausdruck von purem Schmerz. Etwas ist hier falsch, das stimmt doch nicht. Die Nase zieht, die Tränen laufen, leise, weil Worte hier nicht reichen. Der Vater leise vor dem Saal, die Mutter verliert ihr Bewusstsein.
Die Natur kann das nicht wollen. Wie kann der Beginn des Lebens das Ende darstellen? Wie kann der Kraftakt der Geburt nicht im Sinne des Lebens stehen? Wie kann ein Leben in einem anderen Leben sterben? Wie kann man ein totes Leben, das aus einem selbst entstanden ist, unter seinem eigenen schlagenden Herzen tragen? Wie kann die Natur so schmerzhaft sein?
Etwas ist hier falsch, das stimmt doch nicht. Sie schläft, die kleine Lena.




Magda Lena Runer 

Magda Lena Runer wurde im Dezember 1998 in Meran, Südtirol, Italien geboren und ging in Terlan und Bozen zur Schule. Sie besuchte das Gymnasium mit Schwerpunkt „Altsprachen“ und war von klein auf fasziniert von Sprache und Genauigkeit, die durch diese möglich ist.
Nach der Schule begann sie ihr Medizinstudium in Graz und in Linz in Österreich, bei welchem sie sich gerade im letzten Jahr befindet. Einen Teil ihres Studiums hat sie in Form eines Erasmus auch in Neapel absolviert, wobei sie ihrer Liebe zur italienischen Sprache nachgehen konnte. Da Runer in Südtirol aufgewachsen ist, ist ihr diese lyrische Sprache von klein auf als Zweitsprache nämlich sehr vertraut. Schreiben war Runer stets ein Wegbegleiter, ihr ist als würden Sätze wie Ohrwürmer durch ihren Kopf schwirren, bis sie ein Stück Papier bekommen. Sie hat einige Zeit für lokale Zeitschriften Artikel zu diversen Veranstaltungen und Tagungen verfasst und hat sich auch mit Lyrik etwas vertraut gemacht.






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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Potentialentfaltung und Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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