Damals

Damals

Zittrig trat ich die Stufen hinauf zum Atelier eines Künstlers. Er wurde mir empfohlen, weil er die innere Schönheit zum Vorschein brachte. Die Tür stand offen, als ich die letzten Schwelle überschritt. Musik von Mozart schallte durch den großen Raum. Auf einer Seite standen Skulpturen von den verschiedensten Menschen.

»Hallo?«, rief ich aus und trat neugierig auf das weiße Gestein zu. »Hallo Eduardo?« Noch immer keine Antwort. Vorsichtig strich ich mit den Fingern über die kalte Oberfläche, die sich glatt anfühlte. Ein »Wow« konnte ich nicht unterdrücken.

»Danke«, hörte ich hinter mir und erschrocken zuckte ich zusammen.

Schnell drehte ich mich um. In meiner Nähe stand ein junger Mann, der beim Lächeln weiße Zähne zeigte. »Ich … es tut mir leid, ich wollte nicht so einfach, aber …«

»Alles gut, Sie müssen Elisabeth sein.«

»Ja.«

Er kam auf mich zu, wischte seine Hände an der farbenbekleckerten Hose ab und streckte sie mir entgegen. »Dann willkommen bei mir.«

Kurz schüttelte ich seine rauen Finger. »Diese Statuen sind sehr schön. Man merkt, dass Sie Ihre Arbeit mit Leidenschaft machen.«

Er schmunzelte. »Da hinten sind die Portraits«, sagte er und deutete auf den Steinmenschen.

Ich folgte seinem Zeig und ging zu der anderen Seite. Dort waren Menschen auf die verschiedensten Weisen gemalt. Nicht nur der Stil und die Farben ließen deutlich sehen, auch wie die Personen da saßen.

»Jeder hat eine Zeit, in der er sich am wohlsten fühlte.« Er hob ein Bild auf. »Bei dieser Frau war es Anfang die neunziger, als sie achtzehn wurde.«

»Das ist sehr schön geworden.« Auf der Leinwand war eine junge Frau zu sehen, die mit Walkman durch die Straßen tanzte. Sie sah glücklich und unbeschwert aus.

Er griff nach einem anderen Bild. »So sah sie aus, als sie bei mir war.«

Ich konnte nicht sagen, ob das die gleiche Person war, die ältere Dame wirkte gebrechlich und vollkommen trostlos. »Kaum zu glauben, dass es ein und die selbe Frau sein soll.«

Er lachte auf. »Da haben Sie recht, aber …« Das Bild drehte er um und dort war eine Fotografie zu sehen. »Sie hat es mir geschenkt, als sie ihres abholte. Das wurde zu ihrem achtzehnten aufgenommen. Ich habe sie also recht gut getroffen.«

»Sie kannten das Foto nicht?«

»Nein, ich zeichne, was ich sehe und wie es sich anfühlt. Zumeist liegt mein Gespür auch richtig.«

»Zumeist?«

Er stellte die Bilder vorsichtig ab und ging ein paar Schritte. »Ihn hier habe ich gar nicht getroffen.« Ein junger Mann beim Skaten war zu sehen. »Aber er war nicht sportlich«, meinte er schmunzelnd. Wieder legte er es ab und wandte sich an mich. »Aber nun zu Ihnen. Ich habe ein Gefühl, aber Sie müssen mir noch sagen, ob ich richtig liege.«

»Ich werde sterben und ich will, dass meine Tochter ein Bild von mir hat, wo sie sich an die guten Zeiten erinnert und nicht …« Ich zeigte an mir herunter. »An das, was das Krankenhaus und die Krankheit mit mir gemacht hat.«

Er nickte. »Gut.« Er ging auf die andere Seite und griff nach eine leere Leinwand. »Setzen Sie sich bitte auf den Sofa, machen Sie es sich gemütlich.«

Langsam schritt ich durch den großen Raum und nahm auf dem rote Kanapee Platz. Ich versuchte, eine behagliche Position zu finden, aber irgendetwas störte mich immer.

»Sie können sich auch hinlegen. Es sollte nur bequem sein, weil das Malen braucht seine Zeit.«

Nickend probierte ich noch ein paar Positionen aus, bis ich einigermaßen zufrieden war. Auch wenn ich wusste, dass ich so nicht lange stillhalten konnte.

»Nun Elisabeth, erzählen Sie mir etwas von Ihrer Tochter.«

Unweigerlich musste ich lächeln. »Antonia ist mein Ein und Alles. Ich musste sie alleine großziehen, weil mein Mann verstarb und ich es irgendwie nicht übers Herz gebracht hatte, jemand Neuen in unser Leben zu lassen.« Ich seufzte. »Es war nicht immer leicht mit so einem Wirbelwind, aber das war es wert. Sie ist zu einer selbstständigen Frau geworden, sie weiß was sie will und tut ihr Bestes.«

Strich für Strich malte er auf die Leinwand und lächelte dabei, zwischendurch nickte er, wenn ich ihm ein klein wenig erzählte. Dazwischen machten wir Pause, tranken und aßen etwas.

»Und dann kam der Krebs?«, fragte er, als wir uns grade wieder setzten.

»Der erste, ja. Die Chemo hatte mir zugesetzt, aber ich schaffte es mit ihrer Hilfe. Zwei Jahre war ich dann krebsfrei, bis bei einer Kontrolle an einer anderen Stelle ein weiteres befallenes Gebiet aufgefallen ist.«

»Und der will nicht weg?«

»Nein, es hat nichts geholfen.  Eine Zeit lang waren wir mehr im Krankenhaus als in unserer Wohnung, bis ich gesagt habe, dann ist es eben so, wie es ist.«

»Sie sind die stärkste Frau, die ich bis jetzt kennengelernt habe und ich wünschte, unsere Wege hätten sich schon vorher gekreuzt.«

Ich lächelte. »Eine schrullige kranke Frau?«

»Nein.« Er sah zu mir. »Eine Frau, die mit voller Hingabe ihre Tochter aufgezogen, gekämpft hat und weiß, wann Schluss ist. Sie wollen es vermutlich nicht hören, aber Sie sind ein Vorbild, ein Engel.«

Ich winkte ab.

»Stellen Sie nicht, das was sie geleistet haben unter einen an, erkennen Sie, was Sie geleistet haben.«

Es klopfte. »Hallo?« Es war die Stimme meiner Tochter.

Langsam erhob ich mich. »Mäuschen.«

Sie kam auf uns zu.

»Ich bin Eduardo«, stellte sich der Maler vor. »Sie müssen die Tochter von Elisabeth sein, ich habe heute viel von Ihnen gehört.«

»Meine Mutter übertreibt«, meinte sie schmunzelnd und griff nach meinem Arm. »Geht es?«

»Ich glaube nicht«, sagte Eduardo.

»Ja«, kam von mir.

Ihr Blick ging über mein Gesicht, dann wandte sie sich wieder ihm zu. »Ich weiß nicht, was Sie getan haben, aber so strahlend habe ich meine Mama schon lange nicht mehr gesehen.«

»Die Erinnerungen an Sie, hat Elisabeth so leuchten lassen.« Er drehte die Staffelei um. Auf dem Bild war nicht nur ich in jungen und gesunden Jahren zu sehen, auch meine Tochter hatte er getroffen, als wenn er sie gekannt hätte.

»Wunderschön«, begann ich zu wimmern. Meine Tochter drückte mich, sie auf dem Bild.

»Ich danke euch.«




Luna Day wurde 1982 in Wertingen geboren und wuchs in Augsburg auf, wo sie immer noch mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern lebt. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie durch Harry Potter und Roll-Play-Games-Fanfiction in Foren. Sie verfasst Kindergeschichten, aber auch Fantasy- und Liebesgeschichten. Trotz ihrer Lese-Rechtschreib-Schwäche hat sie bereits einige Geschichten in Anthologien unterbringen können. Ihre erste Novelle erschien im März 2021.

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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Potentialentfaltung und Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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