Anita Lang, Hermann Höger für #kkl52 „Essenz“
Tummelplatz der Götter
Auf dem Foto sehe ich aus, als wäre ich hinüber. Ein graues Gesicht, meine geschlossenen Augen, regungslos auf der Bahre einer Krankenhauslobby liegend. Eine Schwester mit Hygienemaske, die dunklen Haare in ihr Uniformhäubchen frisiert. „Bank“ hat es mit seinem Handy gemacht. Er fotografiert nach Herzenslust, üblicherweise begleitet er die Touristen. Der thailändische Fahrer lächelt, als entstammte er dem blühenden Leben aus dem Auenland.
Bei meinen früheren Besuchen in Provinzhauptstadt Chiang Mai habe ich ihn kennen gelernt. Seine Führungen waren von einem positiven Geist getragen. Stets betonte er, dass die erkennbaren Fortschritte in der Region allesamt von der Regierung gemacht wurden. Seine Freude darüber war ansteckend. Wir fahren auf schmalen, kurvigen Bergstraßen und sehen die mit Wasser getränkten Reisfelder, aus denen zarte Pflänzchen sprießen. Einmal geht es zu hellgrünen, terrassenförmig gepflanzten Feldern. Er führt durch die Plantagen, machte uns deutlich, dass hier in früheren Zeiten Mohn gepflanzt wurde. Inzwischen auf zukunftsträchtige, gewinnbringende Landwirtschaft umgestellt wurde, Orangen und anderes Obst und Gemüse, Kaffee.
Als wir uns in diesem Winter wiedersahen, gingen wir aufeinander zu und umarmten uns. Es war purer Zufall. Ich hatte ihn schon von weitem erkannt. An diesem Tag waren Astrid und ich fast zweihundert Kilometer von Chiang Mai entfernt unterwegs. Wir besuchten Wat Rong Suea Ten, den blauen Tempel. Bestaunten die heiligen Figuren, das Abbild Buddhas, das auf einer Art Thron sitzend, in den freien Himmel ragte. Wir und Bank trafen uns zu einer Tour zwei Tage später in Chiang Mai. Im Laufe des Tages landeten wir in einem Kaffeehaus, das mit der Tradition dieses Landes nichts gemeinsam hat. Eigentlich war das ein Internet-Tipp. Als wollte es nicht gefunden werden, fuhren wir locker eine Stunde durch die Landschaft. Eher behagt das Lokal einer Horde Teenies, diese Atmosphäre der Barbiepuppen und perfekt gestylter Kuchen. Ausgestattet in künstlichem kitschigem Stil. Zuckerguss auf Torten, weiße Blütenattrappen und rosa Röschen. Eine weltfremde Szenerie, die Unbehagen in mir hochsteigen lässt. Wir betreten den Garten, in dem der Rasen penibel gepflegt ist. Es ist serviert. Bei über dreißig Grad sitzen wir unter einem Sonnenschirm. Ich esse von dem picksüßen Kuchen, wohl eher, weil ich ihn bestellt habe. Astrid isst nur ein paar Bissen, schiebt mir den Rest ihrer Portion über den Gartentisch zu. Ich esse auf, damit das Wetter morgen schön wird. Es sollte nicht lange dauern, bis sich die Auswirkungen zeigen.
Zurück im Hotel merke ich, wie alles wieder hochkommt. Mir wird speiübel, ich kollabiere, erbreche und bekomme anhaltenden Durchfall. Wir erfahren, dass es hier keine Krankenwagen gibt, die man rufen könnte. Bliebe nur das Taxi. Dafür wäre allerdings die Voraussetzung, dass ich transportfähig wäre. In einer Art Dämmerzustand harre ich aus. Astrid ist besorgte Begleiterin, regt sich auf, checkt, wann und was man tun könnte. Nach zwei bangen Stunden verfrachtet mich ein Concierge in einen Rollstuhl, weil ich mich allein nicht mehr aufrecht halten kann, und karrt mich zu einem Minibus. Der Fahrer des Hotels bringt mich in eine Notambulanz. Fährt wie ein Formeleins-Weltmeister eine Vierminutenstrecke in zwei Minuten. Das Ambulanzschild zeigt „Triage“. Hier wird selektiert, wer als Erster drankommt. Nach der Erstaufnahme lässt man mich sitzen. Ich frage, ob ich mich hinlegen kann. Niemand reagiert. Nach ein paar Minuten kollabiere ich. Dann kommen sie in die Gänge, ich bekomme eine Trage und man schließt mich an eine Infusion an. Die abgehalfterten Räume, die abgeschabten Bänke und Krankentragen, von denen der Lack ab ist, registriere ich nur am Rande. Ein betrunkener Thai liegt auf der Nachbartrage, reißt sich die Infusionsnadel aus dem Arm. Nach der Behandlung erfange ich mich kurz und werde ins Hotel zurückgebracht. Am nächsten Morgen wird klar, dass ich nochmals ärztliche Hilfe brauche.
Bank hält Kontakt zu uns und erkundigt sich nach meinem Befinden. Seine Hilfsbereitschaft stärkt mich. Gut zu wissen, dass ein wirklich Ortskundiger für mich da ist. Er holt mich ab und wir fahren los zu einem besseren Krankenhaus. Als wir auf der Autobahn im Stau stehen, fährt ein unvorsichtiger Mopedfahrer in die Wagenseite. Bank steigt aus, sieht sich den Schaden an. Trotz eines Kratzers in seinem Fahrzeug, sorgt er sich nur um den Mopedfahrer und fragt, ob er verletzt ist. Ich liege auf dem Rücksitz, finde Banks Reaktion aus europäischer Sicht völlig untypisch. Die beiden einigen sich darauf, weiterzufahren. Endlich angekommen, sehe ich ein Krankenhausgebäude, das nach westlichem Standard ausgerichtet ist. Räume mit weiß gestrichenen Wänden, nach Desinfektionsmittel riechende Laken. Krankenhauszimmer wie daheim. Sofort bringt mir eine Schwester einen Becher Wasser mit Strohhalm. Auch darf ich mich gleich hinlegen und werde zugedeckt. Ich werde wieder an eine Infusion angeschlossen, dann lassen sie mich allein.
Da liege ich nun, starre die weiße Zimmerdecke an. Ein schwarzes Gesicht taucht auf, wie aus einem Fantasyfilm. Kurz erschrecke ich, betrachte es genauer. Ein breiter, wellenförmiger Mund zeigt zwei, nach oben gebogene Zähne, wie die eines Ebers. Auf dem Kopf trägt er etwas Kultisches, goldgelb verziertes Turmartiges. Ohren wie Fächer, Glubschaugen, eindringlich und fragend, aufwühlend. Es ist ein Krieger. Sieht wild aus, bedrohlich, aber zu meiner Verwunderung beschützend zugleich. Fieberhaft überlege ich, versuche, die aufsteigenden Gefühle zu benennen. Keine Logik dahinter. Träume ich? Ich kneife meine Augen zu. Und als ich sie wieder öffne, taucht eine filigrane Frauenfigur auf. Wie ein Schattenspiel im chinesischen Schattentheater oder ein schwarzer Scherenschnitt erscheint sie. Ein Gefühl der Wärme umhüllt mich. Der tröstliche Blick einer Götterfigur, die Hände in Gebetsgeste nach oben, die unbeweglich verharrt. Ich weiß jetzt, ich werde freundlich begleitet, bin voll von Hoffnung.
Erst später, als ich mich langsam erfange, nehme ich mein Handy und füttere die Suchmaschine mit allerhand Attributen über thailändische Götter. Wer kann das gewesen sein? Dann sehe ich den Zusammenhang und staune. Es war Mahakala, Gott mit zornvoll-kraftvollem Ausdruck des Mitgefühls, der in Thailand verehrt wird. Und sie war Tara, gilt als große Schützerin, eine Bodhisattva des Mitgefühls. Sie waren aufgetaucht und haben mich in meiner Krise begleitet. Ich wurde in dem Glauben erzogen, dass sich Gott nur dem zeigt, der zur Kirche geht, zu ihm betet und an ihn glaubt. Sind Mahakala und Tara selbstlose Götter? Du musst nichts tun, um ihre Gunst zu erhalten? Wollten sie mir etwas aufzeigen? War es der kitschige Ort, der Geschmack der Ignoranz, der diese Krankheit auslöste?
Es war mir ein Blick hinter die Kulissen vergönnt gewesen. In eine Welt, wo nicht alles, aber vieles auch selbstlos passiert. Die Lebenseinstellung von Tourguide Bank, der mir einiges beibringen konnte und den ich seither als Freund betrachte. Ein Infragestellen des Schicksalhaften, ob Ereignisse vorherbestimmt sind oder rein zufällig geschehen.
Anita Lang
publizierte Romane und Kurzgeschichten im Selbstverlag. Mit ihren journalistischen Arbeiten möchte sie geisteswissenschaftliche Themen zur Sprache bringen.
Hermann Höger
ist grafischer Ingenieur in Wien, Bruder von Anita Lang, Produktionsleiter, Fotograf und Maler, diesmal Co-Autor.
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