Timbuktu oder …

Andreas Tebbe für #kkl53 „souverän“




Timbuktu oder Buxtehude – Hauptsache, es steht im Handelsblatt

Durch die kleine Gasse noch, dann sieht man es schon.
Mitten auf dem Marktplatz, eingerahmt von roten Backsteinfassaden und einem viel zu kitschigen Schaufensteraufsteller: mein Büro.
Ein Ort der Ruhe, zumindest für mich.
Nach zwei Tagen Kindergeburtstag, Lego-Schlachtfeld und Schlafdefizit fühlt sich das hier an wie ein Wellness-Retreat.
Andere machen Yoga.
Ich schließe montags meine Bürotür auf.

Montags – das ist wichtig.
Nicht, weil ich das Wochenende vermisse. Ganz im Gegenteil.
Die Geräuschkulisse zu Hause treibt mich montags regelrecht hierher, in meine stille Oase.
Wäre da nicht die andere Tradition.
Die, auf die ich mich weniger freue.

Pünktlich um 9:03 Uhr klingelt das Telefon.
Es könnte niemand anderes sein.
Arne Trabur.

Trabur ruft nicht an, um etwas zu klären.
Er ruft an, weil es Montag ist.
Weil er am Wochenende wieder Zeit hatte, sich selbst in den Wahnsinn zu klicken.
Vergleichsportale, Vertragsbedingungen, Stammtischparolen.

Ich hebe ab.
„Ebbet, guten Morgen.“
„Herr Ebbet!“, schießt es mir entgegen. „Ich habe am Wochenende noch mal in meine Unterlagen geschaut. Wissen Sie eigentlich, was Ihr Vorstand da alles finanziert? In Timbuktu wieder ein Fußballprojekt. Ich hab’s schwarz auf weiß. Es stand im Handelsblatt.“

Gelangweilt kritzle ich einen Smiley auf meinen Notizblock.
Mir geht ein Satz durch den Kopf, den ich schon oft gehört habe.
Zuletzt auf einer Tagung in München vor elf Jahren.
Ich stand an einem Stehtisch, und zwischen Wein, Sekt und Gesprächen über Statistik fiel von meinem Kollegen der älteste Vertrieblerspruch überhaupt.
Schon fast ein Klischee:
Wenn das Pferd tot ist, steig ab.

Aber ist mein Pferd tot?
Es bringt mich jedenfalls nicht mehr voran.
Doch im Telefonieren ist es noch ganz groß.
Trabur redet sich warm.

Er spricht über Renditen, über Bedingungen, über Ungerechtigkeit.
Während er sich Luft macht, schweift mein Blick zur Fensterbank.
Die Monstera, die dort steht, hat wieder ein Blatt verloren.
Es liegt zusammengerollt auf dem Boden, leblos.
Seit Monaten verliert sie eins nach dem anderen, trotz Pflege, trotz gutem Zureden, trotz teurem Dünger.

Trabur ist inzwischen bei den Grundsatzfragen.
„Herr Ebbet, das Vertrauen in Ihre Gesellschaft ist doch längst dahin! Ich habe das Kleingedruckte am Wochenende noch mal gelesen. Ich frage mich, warum ich überhaupt noch zahle.“
Ich notiere mir seine Kritikpunkte und stelle fest, dass es heute wieder Zeit wäre für Dieter und das Onlinegeschäft.

„Und der Dieter hat’s auch gesagt“, fährt er fort. „Das bekommt man heute alles günstiger. Online. Ganz ohne Haken.“
Wie laut ist eigentlich ein Augenverdrehen?
Ich hatte kurz Angst, er hätte es durchs Telefon gehört.

Aber ich musste ihn noch mal fragen.
Nicht, weil ich die Antwort nicht kannte.
Einfach, um ihn ein bisschen zu ärgern.
Um meine Entscheidung, die schon lange in mir gereift war, jetzt richtig zu platzieren.

„Herr Trabur“, sage ich, als er kurz Luft holt, „lassen Sie mich raten: Sie haben wieder auf Vergleichsportalen nachgesehen.“
„Natürlich!“, sagt er triumphierend. „Man muss ja informiert bleiben.“
„Und Sie haben wieder festgestellt, dass die Welt ungerecht ist.“
„So ist es!“

Jetzt ist es so weit.
Im Stuhl zurückgelehnt schaue ich zu meiner Pflanze und werde wütend.
Was fällt diesem Mistding eigentlich ein, hier einfach langsam zu vertrocknen?
Ich habe mich gekümmert und sie gedüngt, gegossen und mit so einer Sprühflasche befeuchtet.
Aber nein – die Werte-Pflanze ist wohl zu empfindlich für so ein normales Büro.

Ich räuspere mich.
„Herr Trabur, wenn ich mal ehrlich sein darf: Vielleicht haben andere Mütter auch hübsche Kinder, die zufällig in der Versicherungsbranche arbeiten und Ihnen bessere Verträge verkaufen können. Vielleicht investiert der Vorstand tatsächlich in Buxtehude…“
„In Timbuktu“, korrigiert er mich penibel.
Ganz der Beamte. Natürlich.

Ich fahre fort:
„Vielleicht ist es wirklich besser, Sie wechseln zu einem dieser Onlineversicherer, die günstiger sind. Tun Sie denen und sich nur einen Gefallen: Nehmen Sie einen ohne Servicehotline. Das sind die besten.“

Ich stelle die Pflanze in den Hausflur.
Manche Dinge wachsen eben nicht mehr, egal, wie viel Mühe man sich gibt.




Andreas Tebbe (geb. Wienpahl)
Geboren 1986, wohnhaft in Brakel (Nordrhein-Westfalen).

Beruflich in der Versicherungsbranche tätig, privat intensiv beschäftigt mit den Themen Trauma, psychische Belastung und gesellschaftliche Ausgrenzung.

Seit 20 Jahren schreibt er literarische Kurzprosa mit psychologischem und existenziellem Schwerpunkt. Die Anthologie Wo das Licht nicht reicht – Was in uns wohnt, wenn die Welt still ist ist sein erstes zusammenhängendes Werk. Teile der Anthologie sind inspiriert von eigenen Erfahrungen als Vater eines behinderten Kindes und reflektieren den Umgang mit familiären Herausforderungen, Verlust und Selbstvergebung.

Publikationen:
• „Verlust“ in der Anthologie Eintauchen, Abtauchen, Auftauchen (ViaTerra Verlag, 2011)
• „3 Stunden“ in der Anthologie Lichtlos: Düstere Geschichten und lyrische Gedanken (Balthasar Verlag, 2010)
• „Rache“ in der Anthologie Wer ist der Mörder? (net-Verlag, 2010)
• „Zeitlos“ in der Anthologie Wo ist der Mörder? (net-Verlag, 2011)
• „Endlosschleife“ in der Anthologie Herzensangelegenheit (net-Verlag, 2011)
• „Endlosschleife“ in der Anthologie Von einer langen Heimkehr (Engelsdorfer Verlag, 2011)
• „Rache“ in der Anthologie Best of net-Verlag (net-Verlag, 2013)






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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Potentialentfaltung und Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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