SOUVERÄN

Christina Maria Hesse für #kkl53 „souverän“




SOUVERÄN,

das schön klingende Wort für selbstverantwortlich, eigenverantwortlich oder selbstbestimmt

steht auch für Josefine, die SELBSTSICHER

in Nachthemd und Pantoffeln in den Keller zur Waschmaschine geht.

Jahrzehnte war ihr schönes Haus mit Garten ihr ganzer Stolz und ein Ort des Glücks.

Die eigenen vier Wände vermittelten Freiheit

und gaben einen Rückzugsort.

Ihre drei Kinder wuchsen behütet auf.

Familienfeste waren laut und fröhlich.

Viele Fotos aus vergangener Zeit zieren die wuchtigen Eichenschränke im Wohnzimmer.

Jahrzehnte sind vergangen, ebenso ihre körperliche Kraft.

Josefine empfand es immer als ein Privileg nicht gesehen zu werden im Waschkeller.

Doch nun, nach dem Sturz von der Treppe, nach drei Wochen im Krankenhaus kommt das Zuhause ihr fremd vor.

Der Staub hat die Eichenmöbel in ein Grau getaucht.

Der Garten? Na ja, der Garten?

Löwenzahn ist auch eine Blume.

Der wunderschöne alte Parkettboden war einmal ein „Glanzstück.“

Er ist matt geworden, denn ab und zu Staubsaugen musste reichen, für Wischen, geschweige denn bohnern wie noch in den 1980 er Jahren, fehlte Josefine schon lange die Kraft.

So geht sie mit dem kleine Korb Wäsche in den Keller,

im Nachthemd, in Pantoffeln.

Sie steht im Keller, hält inne und sieht die traurigen, überforderten Augen ihres wundervoller Ehemannes Horst vor sich.

Seit 54 Jahren sind sie ein Paar.

Viele Gedanken breiten sich in ihrem 81 Jahre alten Kopf mit dem wunderschönen weißen Haar aus.

Entschlossen, wenn auch langsamer als sonst geht sie die Stufen rauf in die Küche.

„Wollen wir NEUES wagen?“

Horst schaut Josefine an. Ihn überrascht ihr Tonfall.

Noch kann sich Horst nicht vorstellen wie Josefine „DAS NEUE“ umsetzen will.

Seine uneingeschränkte Unterstützung ist ihr gewiss,

wie schon in dem letzten halben Jahrhundert.

Mit unglaublich viel Glück entsteht der Kontakt zu einem Vermieter, der gerade ein sechs Familienhaus fertigstellt.

Eine Wohnung im ersten Stock, 72 Quadratmeter, Balkon, Fußbodenheizung, ebenerdige Dusche wird Josefine und Horst angeboten.

Keine Stufen und Kanten, sie müssen keinen Öltank mehr befüllen lassen.

Josefine steht mit ihrem Mann in der Wohnung mit den großen Fenstern und dem angenehmen neuen Geruch.

Das neu aufkommende, lange verschüttete freudige Gefühl kennt sie gut. Sie fühlt sich wie vor 45 Jahren beim Einzug in das eigene Haus.

Der Vermieter zeigt ihnen den großen, hellen Waschkeller. Waschmaschinen und Trockner sind auf Podesten vorgesehen.

Die Plätze sind mit extra Wasser und Stromanschluss ausgestattet.

Im sauberen Kellerraum für Fahrräder fallen ihr zwei Kinderräder und ein Rollator auf.

Sie denkt an ihr Nachthemd….

„Schaffen wir die Herausforderung eines Umzugs?“

Ihr Ehemann Horst schaut sie mit strahlenden Augen an, seine Traurigkeit ist nicht mehr zu sehen.

Ein sehr hilfsbereites Umzugsunternehmen vermittelte der Vermieter.

Nicht mehr benötigte Möbelstücke wurden dankend von einer Hilfsorganisation abgeholt.

Am Tag des Umzugs steht sie ein letztes Mal vor ihrem Haus mit Garten.

Josefine wirft ihre Pantoffeln in die Mülltonne und schaut auf das sonnig, gelbe Feld im Vorgarten.

„LEBEWOHL!“

Laut spricht sie dieses Abschiedswort an den Löwenzahn gewandt.

Keine Angst, nein, keine Zweifel empfindet sie bei der Herausforderung den Umzug in die kleine Wohnung zu meistern.

Souverän ist ihre Haltung. Souverän ist ihre Ausstrahlung. Souverän, mit einer großen Dankbarkeit

schließt Josefine die Tür zur neuen Wohnung auf. 

Die weiße neue Küche übertrifft den Glanz des alten Parketts vor langer Zeit.

Sie räumen tagelang mit Freude die Umzugskisten aus und organisieren das ganze zukünftige Leben neu.

Ihr Herz klopft wie wild als sie zum ersten Mal mit dem Aufzug in den Keller fährt.

Der Wäschekorb ist gut gefüllt, die Waschmittel stehen bereits im Keller.

Plötzlich steht ein junger Mann vor der Aufzugstür, als diese sich öffnet.

Er reicht ihr die Hand, stellt sich vor und fragt, ob er ihr den Korb in den Waschkeller tragen darf.

Josefine bietet direkt das DU an.

Mit einem strahlenden Dankeschön wünscht der junge Mann, Justin, ein gutes Zusammenleben hier im Haus.

In Josefines Augen glitzern ein paar Tränen.

Sie steht vor dem Aufzug und möchte zurück in die Wohnung zu ihrem geliebten Horst. 

Englisch hat sie in ihrem Leben nie gelernt, doch nun fällt ihr plötzlich eine Liedzeile ein….

EASY LIVING!

Josefine schaut an sich herab.

Sie sieht das geblümte leichte Kleid und die neuen beigen Sandalen.




Mein Name ist Christina Maria Hesse, ich bin 63 Jahre alt und lebe in Emsdetten im Münsterland.
Schreiben ist meine Leidenschaft, mein erstes Buch „55 Plus 1“ (August von Goethe Literaturverlag) ist seit Dezember 2017 im Buchhandel erhältlich.
„Voris“ Verschwörung oder Rechtes Denken im Sauerland (Dirk Laker Verlag) März 2021.
In mehreren Anthologien erschienen meine Beiträge. Sehr bewegende Geschichten sind im #kkl Kunst Kultur Magazin online erschienen.
Mit viel Freude fertige ich passende Kunstwerke zu meinen Geschichten.

https://www.christinamariahesse.de/






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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Potentialentfaltung und Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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