Stephanie Eiselt für #kkl54 „denkbar
In denkbar guter Gesellschaft
Es war einer dieser Abende, an denen die Stadt klebrig auf der Haut lag.
Die kleine Bar in der Nebenstraße flimmerte im schwachen Licht, das durch staubige Fenster sickerte.
Sie hatte keinen richtigen Namen mehr, nur ein schiefes Schild über der Tür, auf dem vermutlich mal etwas stand.
Vielleicht „Denkbar“, vielleicht „Trinkbar“ – keiner wusste es mehr genau.
Innen: gedämpfte Stimmen, das Klirren von Gläsern, der Geruch nach Kaffee, altem Sofa und frischem Weltschmerz.
Jonas polierte einen Becher.
Er tat das immer, wenn nichts anderes zu tun war; er hatte gelernt, dass Hände beschäftigt sein mussten, wenn der Kopf zur Ruhe kommen sollte.
Emma saß schon da, ihr Laptop war aufgeklappt, aber sie tippte nicht. Sie starrte in die Tasse vor sich, als könnte sie darin eine Antwort finden.
„Jonas, kannst du mir noch einen Cappuccino machen? Doppelt emotional Support-Schaum, bitte“, sagte sie, ohne aufzublicken.
„Kommt sofort …“, murmelte Jonas.
Die Tür schwang auf, ein kalter Luftzug brachte etwas Leben herein. Mit ihm Jamal: Hoodie, Kopfhörer, jugendlicher Trotz.
„Ey, alles geht den Bach runter, Alter: Klima, Wirtschaft, die Bahn – einfach alles. Sobald ich die Nachrichten lese, nur noch Dramen“
„Setz dich“, murmelte Jonas. „Möchtest du deinen Frust lieber in einer Flasche Bier ertränken oder stilvoll im Glas?“
„Flasche, danke. Ich muss gleich wieder los.“
Er setzte sich zu Emma an den Tisch.
„Stressiger Tag?“
„Ach, keine Ahnung“, Emma zuckte mit den Schultern. „Sinnkrise, würde ich sagen, mit einem Hauch Weltschmerz heute.“
Herr Schröder trat ein, gestützt auf seinem alten Stock, der Blick wach und neugierig wie immer. Er sah in die Runde, hob grüßend die Hand und setzte sich dazu.
„Was ist denn hier für eine Stimmung?“, fragte er und gab Jonas ein Zeichen. „Wie immer: Rotwein, der gute.“
„Die Welt ist dem Untergang geweiht“, sagte Jamal, wobei er mit einer theatralischen Handbewegung die Luft zerriss, als würde er das Ende selbst heraufbeschwören.
„Na, na, na“, rief Herr Schröder, „das führt doch zu nichts. Weltuntergang, er schüttelt seinen Kopf.
Die Erde hatte schon andere Krisen, und ist sie Untergegangen?
Jamal zuckte mit den Schultern, aber Herr Schröder fuhr fort: „Früher haben wir auch nichts gehabt, nicht mal Hoffnung – und das hat uns nicht geschadet.“ Er grinste.
„Ihr jungen Leute wollt immer, dass alles Sinn ergibt, dass es sich gut anfühlt, dass es logisch ist.“
Er stellte sein Glas ab.
„Ist es nicht. War es nie. Dazu überblicken wir die Wahrheit viel zu wenig. Wir alle können nur aus unserem kleinen Verstand heraus blicken. Das ist ein Puzzleteil – und nie das ganze Bild.
Ich habe als Kind immer gedacht, das Leben ist wie mein Schulweg: klare Richtung, klares Ziel. Aber irgendwann merkt man: Es gibt gar keinen festen Stundenplan.“
Emma lehnte sich zurück.
„Und was macht man, wenn man sich verlaufen hat?“
„Dann“, sagte Herr Schröder und hob sein Glas, „hast du wenigstens was Neues gesehen.
Das Leben ist eine Aneinanderreihung von Geschichten und Erlebnissen. Je mehr du davon hast, desto glücklicher kannst du dich nennen.“
„Die meisten Leute haben aber keinen Bock auf Umwege“, sagte Jamal. „Oder blöde Geschichten.“
„Ist dir schon mal aufgefallen, dass die blödesten und schlimmsten Dinge im Nachhinein die besten Geschichten ergeben?“
„Ihr jungen Leute traut euch nicht mehr zu fühlen – das ist das wahre Problem.
Wir hatten früher Kriege und Hungersnöte. Da wird man uneitel. Da gesteht man sich auch schlimme Gefühle zu.
Heute ist alles viel zu weichgewaschen, alles wird in Watte gepackt. Inzwischen sogar die Sprache …“, sinnierte Herr Schröder, nicht ohne Frust in der Stimme.
„Früher“, nuschelte Jamal, „war die Apokalypse noch Handarbeit.“
„Und heute“, sagte Jonas grinsend, „gibt’s die bei Amazon Prime.“
„Also übersetzt in die heutige Zeit“, überlegte Emma, während sie in ihrem Cappuccino rührte, „sind wir vielleicht wie ein Update, das nie fertig installiert wurde.“
„Oder ein Bug“, warf Jamal ein, „den keiner mehr patcht.“
Herr Schröder lachte.
„Macht euch nix draus. Am Ende sind wir eh bloß eine schlechte Beta-Version von dem, was möglich gewesen wäre.“
Alle guckten ihn verblüfft an.
„Denkt ihr, ich bin aus der Welt gefallen?“, rief er lachend. „Ich habe sehr wohl Ahnung von der heutigen Welt.
Deshalb kann ich euch sagen, was das Schlimmste ist: Einsamkeit.“
Er hob sein Glas.
„Wir brauchen keinen künstlichen Sinn im Leben. Der Sinn ist das Leben selbst. Mit allen Bergen und Tälern. Mit allem Licht und Dunkel.
Wir können alles meistern, solange wir andere Menschen um uns haben.
Außerdem: Das Leben macht immer nur im Rückblick Sinn. Während wir leben, brauchen wir keinen Überblick – es kommt immer nur auf das an, was man als Nächstes tut.“
Jonas lehnte sich gegen die Theke und hob ein leeres Glas, an dem noch Spülschaum klebte, in die Luft.
„Ein Hoch auf uns hier – die wir nicht alleine sind, während das Leben seinen Sinn noch verbirgt.“
„Auf uns und darauf, dass wir es immer irgendwie schaffen“, sagte Emma, das Glas leicht in die Luft hebend, „selbst wenn wir keine Ahnung haben, wohin es geht.“
„Stimmt“, nickte Jamal, „denn wir sind alle irgendwie unterwegs, und der Weg ist besser, wenn man ihn zusammen geht.“
Herr Schröder schmunzelte und hob schließlich sein Glas.
„Und auf die, die wissen, dass der Weg manchmal das Ziel ist – egal wie viele Umwege er auch hat.“
Draußen fing es an zu regnen.
Dicke, faule Tropfen.
Drinnen saßen sie noch eine Weile– und erzählten Geschichten.
„Ich heisse Stephanie Eiselt,
bin 45 Jahre, Geschichtenerzählerin, Therapeutin und Texterin
Ich schreibe, seit ich das Alphabet entdeckt habe – und sogar schon vorher, indem ich Familienmitglieder dazu brachte, meine Gedichte aufzuschreiben.
Als Jugendliche war ich aktiv für die Schülerzeitung und durfte im Kindergarten als Vorleserin auch meine eigenen Texte ins kleine Volk bringen.
Heute bin ich selbständig als Ernährungs- und Traumatherapeutin und helfe Menschen, ihre eigenen Geschichten zu heilen.
Aktuell schreibe ich ein Buch und bin freie Texterin für Webseiten und Werbematerialien. „
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