Frederik Wolfgang Kloiber für #kkl55 „Freigeist“
Danke Herr Heine …
Ein Freigeist ist ein Mensch, der niemals dem Mainstream folgt und eher Kritik, Spott und Häme auf sich nimmt, als sich in eine Reihe von geistigen Schafen einzuordnen, die keine Fragen stellen wollen, weil diese zu Konsequenzen führen könnten.
Heinrich Heine: „Zum Lazarus (1852)“: „Laß die heilgen Parabolen, Laß die frommen Hypothesen – Suche die verdammten Fragen Ohne Umschweif uns zu lösen.“ –Vers 1
Der Schlüssel für die heilige Zukunft liegt in der Vergangenheit. Sie nannte ihre Tochter eine Schlampe, und ich frage mich, wer hier die Schlampe wirklich ist. Das Mädchen begann zu weinen und ich fragte in die teuflische Ruhe dieser Beschimpfung sanft hinein: Ist die Tochter nicht die Kopie ihrer Mutter, und wenn dem so ist, ist dann die Mutter nicht eine viel größere Schlampe? Der Moment, wenn der erste Donner bei einem Gewitter den Himmel zerreißt, gefolgt von einem Blitz, der den tausend Jahre alten Baum entzwei splittert – ist erfrischend, denn die Hitze weicht der Kühle und die Sinfonie des Regens schenkt der Natur die notwendige Erneuerung.
Alexi sagte mir vor kurzem, dass es Menschen gäbe, die mich nicht mögen würden. Ich erinnere mich genau, wie er dabei grinste. Ebenfalls grinsend entgegnete ich ihm, dass mir das dort vorbeiginge, wo die Sonne niemals scheine. Ich erzählte ihm daraufhin einen Schwank aus meiner jungen Erwachsenenzeit. Ein Bürschlein von geringer Intelligenz befahl mir im Imperativ der Verblödung, dass ich mich unterzuordnen hätte. Ich entgegnete dem Bürschlein, er könne mich einmal Götz von Berlichingen und, wenn er Lust daran empfinde, von rechts nach links und von unten nach oben zusätzlich. Was dann geschehen wäre, wollte Alexi wissen. Ich nickte und nahm einen Schluck vom Sliwowitz. Die Pädagogin empörte sich. Ein Weib, das mehr Make-up im Gesicht hatte als eine Hauswand Putz aufweisen konnte. Es Fräulein Tragerl (bayerisch für Bierkasten) oder, wie sie ebenfalls hinter vorgehaltener Hand genannt wurde, die Übriggebliebene. – Empörte sich mit. Darin sind Deutsche wirklich meisterhaft. Das Sich-empören ist die günstigste Art der hilflosen Selbstverwirklichung, die es geben mag. Wenn man schon nix im Hirn hat, dann empört man sich. Ist damit ein gegebenes Problem gelöst? Mitnichten!
Alexi wollte auf meine Frage hin wissen, was denn aus der Pädagogin wurde. Ich zuckte mit den Achseln und erwiderte, dass ich es eigentlich nicht wisse. Einen Moment blieb es voller Erwartung still, dann merkte ich noch trocken an, dass jene Frau Pädagogin ihre beiden zwangsmäßig zu erwartenden Freundinnen getroffen haben müsste, die da wären: Frau Leber und Frau Zirrhose.
Alexi wurde plötzlich nachdenklich und kurzum verlangte er von mir zu wissen, warum ich so abträglich dieser Zeit gegenüberstand. Ich begann zu lachen und antwortete ihm, dass das jene Zeit war, in der man versuchte, mir fremde Meinung und Ideen aufzudrücken, die ich zutiefst ablehnte und verachtete. Nichts ist schlimmer in meiner Vorstellung, als gezwungen zu werden, etwas zu akzeptieren, von dem ich nicht überzeugt war. Alexi fragte mich genau nach diesen Dingen, die ich in tiefster Kiste verborgen hielt.
Warum das so ist? Na ja, ich habe und lese immer noch sehr viel. Der liebe Gott gab mir wohl eine Portion zu viel Verstand? Ich werde ihn fragen, wenn ich mal tot bin, eventuell erklärt sich damit einiges?
Der brave Deutsche, der gehorchte und alles abnickte? Mitnichten, das war ich einfach nicht. Ich wollte Dinge verstehen und Hintergründe erhellen, denn wer nicht denkt, wird zum Spielball derer, die den Menschen per se ausnutzen und nach Profit zerteilen und verteilen. Nein, danke!
Heinrich Heine: „Zum Lazarus (1852)“: „Warum schleppt sich blutend, elend Unter Kreuzlast
der Gerechte, Während glücklich als ein Sieger Trabt auf hohem Ross der Schlechte?“ –Vers 2
Es gibt da diesen Satz: „Das können wir nicht sagen, das können wir nicht machen!“ Ich verzichte bewusst auf den Satz in jenem Dialekt, in dem ich groß wurde. Dieses Mantra habe ich viele Male gehört und gelebt gesehen. Man findet sich ab mit einer Sache, obgleich man dies nicht müsste. Wie geistfrei ist das eigentlich? Warum können wir das nicht sagen, warum können wir da nichts machen?
Ich bin doch vor Gott dem Herrn ein freier Mann, der eine Meinung haben darf? Steht nicht Gott über dem Menschen und nicht der Mensch über dem Menschen? Ich sehe keinen Grund, meinen Geist und Verstand beschneiden zu lassen wie einen Bonsai-Baum. Gefällig und schön anzusehen, aber hohl und gewollter hässlicher Noblesse unterworfen.
Woher aber soll das Recht kommen, dass ein Mann dem anderen befehlen darf, was er zu denken habe? Der schlimmste aller Tyrannen ist der, der mir verbieten will, zu sein! Nein, danke! Und wenn ich schon wandere in Einsamkeit durch Welt und Leben, so bin ich doch frei im Geiste! Und das Übel kann herrschen, weil der Gerechte sich benimmt und es duldet. Wenn aber das Übel herrscht, kann es keinen Gerechten mehr geben, denn er stirbt allmählich aus. Am Wegesrand wartete schon der Blender, der sich Gerecht nennt. Ein Heuchler, soweit das Auge reicht. Ein Verderber, der nur den eigenen Vorteil kennt.
Heinrich Heine: „Zum Lazarus (1852)“: „Woran liegt die Schuld? Ist etwa Unser Herr nicht ganz allmächtig? Oder treibt er selbst den Unfug? Ach das wäre niederträchtig.“ –Vers 3
Des Herrgotts Rolle in dem Spiel um Verstand und Diktat kann man in ein paar wenigen Worten zusammenfassen. Gegenwärtig „unbekannt“, denn niemand weiß, was Gott letzten Endes wirklich will. Niemand kann vorhersagen, wie sich die Welt in Gottes Allmacht morgen drehen wird. Niemand weiß um des Herrgotts Willen, und niemand, absolut niemand, kann sagen, dass etwas gottgerecht ist, wenn er nicht weiß, ob der Herrgott in seinen Taten Gerechtigkeit sieht! Ob der Herrgott überhaupt etwas zu dem Affentheater des menschlichen Lebens zu sagen hätte? Wenn du willst, dass etwas getan wird, dann tu es selbst, denn Gott macht deine Arbeit sicherlich nicht! Und beten? Mein Freund … Ehrlich, was soll das helfen? Dein Los ist dein Brot, und wie du dein Brot bäckst, so schmeckt’s!
Heinrich Heine: „Zum Lazarus (1852)“: „Also fragen wir beständig, Bis man uns mit einer Handvoll Erde endlich stopf die Mäuler – Aber ist das eine Antwort?“ –Vers 4
Ist es das Unvermögen der einen? Ist es der Neid der anderen? Ist es das Schützen der Pfründe? Unangenehme Fragen sind nicht gerne gesehen. Manchmal denke ich noch an die Schulzeit. Wer brav dem Lehrer nachplapperte und im guten Eindruck machen ein Genie war, der konnte mit dieser Masche bis ins Erwachsenenalter – manchmal bis zur Rente hin, ungeschoren durchs Leben marschieren. Ein willkommener Mensch, weil bequem und pflegeleicht.
Am Anfang erwähnte ich das Mädchen, das von der eigenen Mutter zur Schlampe erklärt wurde, ja? Nun ja, die Mutter war gerade 29 Jahre alt geworden, die Tochter war 15 Jahre alt. Selbstprojektion ersetzt sicherlich nicht das Denken! Ich fand es bemerkenswert, wie die mütterliche Selbstprojektion zu Fehlern führen wird. Dabei wollte die Kleine nur auf das örtliche Maifest. Ein Theater, fern allen Sinnes.
Es gibt also Menschen, die mich nicht mögen? Ach tatsächlich, eine schockierende Schlagzeile, und man möge mir verzeihen, wenn mich nicht die schockiert, denn es ist mir wie immer egal.
Es gibt also Menschen, die mich nicht mögen? Eine Frage, die ich Alexi stellte, als er dies feststellte. Alexi erklärte mir, dass es um die Neue ginge, die der Meinung sei, dass ich ein Besserwisser sei. Ich merkte auf und stellte grinsend fest, dass es immer noch um ihre Fake-Louis-Vuitton-Tasche ging. Alexi nickte und bemerkte nüchtern, dass diese Neue dann ein paar Tage später feststellen musste, dass die Tasche tatsächlich ein Fake sei. Ich zuckte mit den Schultern und bemerkte trockener als sonst, dass die Dame doch einfach nur auf die Nähte hätte achten müssen. Was soll daran Besserwisserei sein?
Plötzlich hielt ich inne … Mein Blick wanderte wie in einem Slapstick-Movie zu meinem besten und einzigen wahren Freund Alexi hin. Ich merkte, wie mir das Hemd zu platzen drohte, und er grinste mich so unverschämt an, wie man es vielleicht nur von einer AI beschrieben oder gezeichnet bekommen könnte. So berichtete es mir Alexi später im weiteren Verlauf unseres Schachspieles. Der Hund weiß genau, wie mir die AI auf die Eier ging … Ein weiteres Tool, um dem Menschen das Denken abzugewöhnen?
„Alter!“, begann ich mit aufkommender Zornesröte im Gesicht.
„Nein, nein, keine erneute Diskussion über den Sinn und Vorteil des gelegentlichen Lügens zum Erhalt des persönlichen Friedens, keine Sorge – Digger!“, versprach er mir lügend, der Hund.
„Aber, du musst zugeben …“, fuhr Alexi fort, einmal mehr zu referieren: „Dass du dir das Leben schon überflüssig schwermachst!?“
Er hatte ja recht damit. Aber! Ich bin nun einmal, wer ich bin, und ich bin gerne, wer ich bin. Ich sah meinen besten Freund an und fragte ihn geradeheraus, ob er sich jedes Mal, wenn ich ihm etwas erzähle, Sorgen machen wolle, ob ich die Wahrheit oder die Lüge anbieten würde …
Alexi lächelte friedlich und voller Ruhe, als er mir mit Nein antwortete.
„Bist mein bester Freund, du Hund!“, bemerkte Alexi leise lachend.
Ich winkte ab und befahl gespielt mürrisch, dass er nun seinen frechen Schnabel halten solle und endlich seinen nächsten Zug zu machen hätte. Außerdem griff ich mir die Flasche Sliwowitz. Es wurde dieses Mal ein ungewöhnlich langes Spiel und ich gewann zu meinem Erstaunen die Partie Schach gegen Alexi. Na ja, Wunder könnte es somit erwiesenermaßen doch geben …
Am Ende galt für mich wie immer: Während der Brave, der halt gehorcht und macht, was man ihm anschafft, am Ende seines Gebetes das Wort „Amen“ spricht, so spreche ich das Wort „Nein“!
Frederik Wolfgang Kloiber, Schriftsteller – Essayist – Poet, geboren am 11. August 1978 in Nordbayern, in unmittelbarer Nähe zur Grenz der ehemaligen DDR… Der Autor verlebte eine glückliche Kindheit, die von einer Leidenschaft zu Büchern geprägt war. Wie in jedermanns Leben, kam es auch im Leben des Autors zu Schicksalsschlägen. Einer dieser Schicksalsschläge führte den Autor in Berührung mit den Werken von Franz Kafka, die bis zu heutigen Tage für den Autor von entscheidender Bedeutung sind. Findet er in Kafkas Zeilen seinen Frieden, die Kraft selbst zu schreiben.
Letzte Veröffentlichung(en)
2020 „Feuer im Ghetto“ – Anthologie Ulrich Grasnick Lyrik Preis 2021 – ISBN:978-3-947215-96-6
Aktuelle Veröffentlichung – Der vernunftbegabte Narr, der denkt – #kkl-Magazin
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