Atemwolkenworte

Kira Huth für #kkl56 „Und dann kam…“




Atemwolkenworte

Lea. Sie kam direkt auf mich zu, als würden wir uns schon ewig kennen. Ich stand draußen bei den Rauchern, ohne Zigarette. Hatte die Hände in den Jackentaschen und die Füße überkreuzt. Hinter mir schloss und öffnete sich eine schwere Stahltür, das Klacken des Riegels war unerwartet leise. Eine schwere Tür, die ganz sacht zufällt –  das ist wie ein wuchtiger Mann mit den sanftesten Händen.

Mit den Menschen drangen auch Geräusche durch die Tür, ein tiefes Wummern und trockenes Klappern. Der Sound erreichte mich böenartig. Beinahe vorsichtig legte er sich auf die freien Stellen an meinem Hals und meinen Schläfen, schickte mir ein Prickeln über die Haut.

Lea lief also auf mich zu. Ihre Art sich zu bewegen hatte etwas eckiges, ja fast militärisches. Das war mir schon beim ersten Mal aufgefallen. Ihr Blick war fest in meinen verhakt und ihr Atem machte beim Gehen Wölkchen. So kalt war es – fuck, so kalt ist es noch immer.

Ich klemme mir die Hände unter die Achseln. Mit hochgezogenen Schultern laufe ich über die zugige Straße, das diffuse Leuchten des Bahnhofeingangs fest im Visier. Vor mir zerpflügt ein spitzes Haus die Kreuzung, so wie ein riesiger Frachter das Meer zerteilt. Ich traue mich kaum daran vorbei. Habe Angst, die lange, geschärfte Kante könnte mich beim Überqueren der Straße erwischen und in zwei schneiden. In ein Vorher und ein Nachher.

Die Ampellichter blinken gelb. Durch die Schwärze schaukelt ein Bus heran, brummt tief und schwer über den Boden. Ein Passant läuft an mir vorbei. Er ist nicht mehr als ein verschwommener Schatten, Aftershave gemischt mit Rauch. Die Glut seiner Zigarette glimmt im Dunkeln nach, obwohl er schon längst weitergezogen ist. Irgendwie ist alles zeitversetzt.

Vielleicht bin ich längst in Vorher und Nachher zerteilt. Lea hat das gemacht, direkt beim ersten Mal.

Sie marschierte gerade auf mich zu sie kam direkt vor mir zum Stehen sie schaute mir fest in die Augen sie nahm mein Gesicht in ihre kalten Hände sie neigte den Kopf leicht zur Seite sie beugte sich langsam zu mir vor.

Dann legt sie mir ihre Atemwolke zusammen mit ihren Worten in den Mund. I knew I would find you here, flüsterte sie und das here wurde ein bisschen von ihrem Lächeln verwischt.

Ich schluckte ihren Satz mit der Wolke herunter. Er sickerte warm in mich ein, breitete sich in meinem Bauch aus.

Fast kommt‘s mir jetzt wieder hoch. Da ist dieser Druck auf meinem Magen, schon seit ein paar Stunden und ich fühle, ich muss das Lea-Wölkchen wieder loswerden, es darf nicht drin bleiben. Mir ist schwindelig. Ich halte mich an einer Laterne fest, der Bahnhof ist nicht mehr weit. Dann beuge ich mich vor und würge. Es wird ein halbes Husten und ein verschämtes Keuchen. Noch jetzt, in diesem dunklen Moment, übe ich mich in Diskretion. Mein Atem kondensiert in der kalten Nachtluft, aber es ist nicht Leas Atemwolke mit den Worten drin, die aus mir herauskommt. Das bin einfach nur ich. Tränen treten mir in die Augen. Ich spüre, wie sie sich zwischen meinen Wimpern verfangen und die Wimperntusche aufweichen. Noch ein halbherziges Würgen, dann blinzle ich die Tränen weg. Rauchgrau tropfen sie auf den Asphalt. Da liegt ein 2-Cent-Stück, es ist dreckig und stumpf. Nichts, nichts kommt mir hoch.

Im Kotzen war ich schon immer schlecht. Das sagten auch meine Freundinnen, wenn sie sich nach dem Feiern ihre Zahnbürsten in den Hals steckten. Sie würgten in so dunklen Tönen, dass es sich für meine Ohren fremd anhörte. Als wären das andere als ihre Mädchenkörper, die gerade etwas aus ihrem tiefsten Inneren nach oben beförderten. Urwesen wie Vulkane, oder so ähnlich. In mir gibt’s keinen solchen Vulkan. Ich legte mir die Zahnbürste auf die Zunge und steckte sie mir tief in den Rachen, genau wie die anderen. Ich würgte, und keuchte, aber nichts. Nie kam die Nacht wieder hoch, immer hielt ich alles drin.

Wie ein Pferd, hatte Marie gelacht. Die sterben, wenn sie was Falsches essen. Ist echt so. Weil sie nicht kotzen können.

Als ob, hatte ich geantwortet. Ich bin doch kein Pferd.

Aber heimlich hatte ich mich gefragt, ob sie nicht vielleicht recht hatte.

Das fällt mir jetzt wieder ein  – ich bin doch kein scheiß Pferd! – und ich versuche ein letztes Mal, Leas Atemwolkenworte wieder loszuwerden. Ich hechele und röchele, Lichtfunken tanzen vor meinen Augen, das 2-Cent-Stück verschwimmt, kippt irgendwie zur Seite, die Häuser kommen bedrohlich nah, ihre Balkone beugen sich vorlaut über mich. Schnell geh’ ich in die Hocke, schlinge die Arme um die Knie und stecke den Kopf dazwischen.

Lea und ich. Wir gingen durch die schwere Stahltür mit dem leisen Klacken, das so unerwartet hell war. Ich konnte nicht mehr hören, wie das Schloss zufiel, denn Lea lief schnellen Schrittes voraus. Drinnen war es dunkelrot, von vorn schien ein schräges Licht in verstreuten Strahlen. Es ließ Lea seltsam flach aussehen, wie einen zweidimensionalen Umriss. Ich heftete mich an ihre Silhouette. Ihr wippender Zopf schwang wie ein Pendel von links nach rechts. Ganz automatisch passte ich meine Schritte an den Takt ihres Zopfes an.

Sie war ziemlich schnell. Lea ist eine, die alles konsequent tut und die Leute spüren das. Sie machten ihr bereitwillig Platz. Ich bewege mich wie ein Fragezeichen durch die Welt.

Ich musste mich sehr konzentrieren, um den Zopf nicht aus den Augen zu verlieren. Leute standen mir im Weg, meine Bewegungen wurden vage. Sie drehte sich nicht nach mir um. Die Lichtstrahlen blendeten unangenehm. Ich eilte ihr hinterher, erntete ein paar Ellbogen. Schon fast außer Sicht machte sie dann diese Drehung. Ihr schwarzer Zopf flog durch die Luft und wickelte sich eng um ihren Hals. Als sie mich in der Menge ausmachte, reichte eine kleine Geste ihrer Hand. Come.

Später war da diese Wand in meinem Rücken, feucht und kalt. Über mir pulsierte es dunkelrot. Der süßliche Dunst der Nebelmaschine verschluckte uns mit dem Fauchen eines eingeschnappten Drachen. Mit einem Fuß stand ich auf einem zerbrochenen Plastikbecher, den anderen hatte ich halb angelehnt, auf die Art passte mein Knie zwischen ihre Beine.

Wir hatten getanzt, irgendwann hatte sie meine Hüften gegriffen, mich gedreht und rückwärts in die Ecke gedrängt, bis es nicht mehr weiter ging. Ich stolperte. Wir fielen gegen die kühle Wand, fielen aneinander oder gegeneinander. Sie hielt meine Hände fest, ich den Atem an. Ich drehte mein Gesicht zu ihr, wollte noch so eine Wolke in den Mund gelegt bekommen, auch wenn es dafür viel zu heiß war – Sie tat es nicht. Ich schaute in ihr linkes Auge, sie in mein Rechtes. Im Rot des Clublichts war keine Iris zu erkennen, nur ein dunkles Rund inmitten von hell. Ihr Augenlid zuckte leicht. Ich wechselte zu ihrem rechten Auge. Eigentlich sind sie braun-grün, erinnerte ich mich.

Wir schauten nun direkt ineinander rein. Unter Leas Auge glitzerte ein dünner Schweißfilm, in meiner Brust trommelte die Aufregung schneller als der Beat. Ich versuchte ein Lächeln, Lea versuchte nichts. Sie sah mich einfach nur an und ihr Augenlid zuckte wieder, das vom linken Auge, denn ich wechselte zwischen beiden hin und her, hielt die Intensität nicht länger aus und mir blieb nur die Flucht. Augen zu.

Ich spürte, wie sie noch einen Moment verharrte, mich vielleicht studierte, wie ich da lehnte, die Arme von ihren Händen fixiert. Dann bewegte Lea sich langsam. Ihr Mund, nur Millimeter entfernt, wanderte über meine Wange zu meinem Ohr, ein paar lose Haare kitzelten mein Kinn. Ich machte die Augen wieder auf, blickte über Leas Schulter hinweg ins Gewusel. Schemenhafte Gesichter, kreisendes Rot, Nebel, das blau-weiße Leuchten eines Handy-Displays.

I am going to look after my friends, rief Lea plötzlich über die Musik hinweg und ließ von mir ab.

Endlich bewegen sich die glanzlosen 2 Cent auf dem Asphalt nicht mehr. Ich hebe sie auf und stecke sie mir in die Hosentasche. Eine kalte Brise zupft an meiner Jacke. Die Laternen sehen aus, als hätte wer mit einem dreckigen Lappen drüber gewischt. Vor mir liegt der Bahnhofseingang, glattgefliest und hell. Irgendwann, in einer der vielen Nischen des Clubs, hatte ich ihre Stiefel entdeckt, ihre geraden Beine in abgeschnittenen Jeans und darauf ruhend, die Hand eines Mannes.

Lea. Léa, korrigiere ich mich. So hatte sie ihren Namen in mein Handy getippt, vor ein paar Wochen am Kanal. Es war sonnig gewesen, auf die goldene Art. Warm und ein bisschen klebrig, obwohl die Tage längst wieder kürzer waren. Wir hatten in unseren Pullis geschwitzt, der Kanal hatte gestunken und dann war da diese Frau gewesen, mit dem schwingenden Zopf und dem herausfordernden Lächeln.




Kira Huth (1992) studierte Literaturwissenschaften und Philosophie. Ihren Master absolvierte sie in Medienwissenschaften und Multimedia and Visual Arts. Sie arbeitet als Redakteurin bei Table.Media und als Korrektorin für Hörbücher. Sie lebt in Berlin und schreibt journalistische Texte, Drehbücher und Prosa. Aktuell arbeitet sie an ihrem ersten Roman.






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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Potentialentfaltung und Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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