Was böse ist




B.U.Christiansen für #kkl56 „Und dann kam…“




Was böse ist

I

So viele unnütze Menschen, die diesen Planeten bevölkerten, sinnierte Thomas. Überbevölkerten. Überbeanspruchten.

Ein Vater mit seinen zwei Söhnen, die am unteren Ende seines Liegestuhls vorüberstaksten, so heiß, barfuß im Sand. Und ja keinem Kiesel die Chance bieten sich übermäßig tief in die Füße einzuarbeiten. Lächerlich, die Mischpoke.

Alle nur in ständiger Angst vor ein wenig Aua. Schmerz härtet ab, nichts weiter. Er war etwas Gesundes, etwas Gutes. Aber völlig verkannt. Die Leute waren nur damit beschäftigt, möglichen Gefahren aus dem Weg zu gehen, statt sie einfach zuzulassen und zu sehen – zu erfahren! -, wie sie wirkten. Auf den Körper, auf den Geist, was immer. Was konnte schon geschehen? Das verdammte Leben ging immer weiter. Für die meisten von uns. Irgendwie.

Thomas selbst war gefeit von derlei Gedankengut, das ihn nur hemmte und lähmte. Was nicht tötet, härtet ab. Seine Maxime. Er schätzte allerdings, daß es auch Schmerz gab, der alle Grenzen sprengte und zum Äußersten führte. Und daß sicher nicht alle Anwesenden mit einem leichten Aua davonkamen.

Beinahe befriedigt registrierte er ein Paar, das sich aus seinen Klamotten schälte, und die massive Einwirkung der natürlichsten aller Energiequellen, die deutliche Spuren auf den Körpern hinterließ. Da, wo eben noch Kleider schützten, bleich, und nebendran kochend rot, besonders am Manne. Es wurde sich eingecremt, aber eher oberflächlich, unglaublich. Die Frau warnte ihren Mann nicht, schnallte es vermutlich selbst nicht, dabei mußte er längst Höllenqualen leiden.

Egal. Mindestens einer hier würde noch heute ins Gras beißen, die Meßlatte zu hoch hängen, die Segel streichen, die letzte Linie überschreiten, wie immer Sie es bezeichnen mögen. Krepieren, solang ihn nicht endlich jemand stoppte.

II

Ich rückte mich auf meinem Liegestuhl zurecht und ließ meinen Blick über die Urlauber gleiten, die es mit gleichtaten und sich auf den grünen Hoteltüchern hin- und herfläzten. Eine Gruppe – oder eher Horde? – zumeist junger Niederländer erregte meine Aufmerksamkeit; vier Weiber, zwei Typen. Getunt und aufgemotzt, mindestens die Alte mit ordentlich chirurgisch aufgepumpten Titten. Eindeutig zuviel des Guten. Alle tätowiert mit allerlei schrottigen Motiven, ohne Sinn und Verstand, wie es schien. Falsche Wimpern, falsche Haare, falsche Nägel. Und falsche Nasen bei den jungen Damen, stattdessen einheitsbreistupsig. Die Männer mit ausgeklügelt ausrasierter Trendfrisur, daß es auf Außenstehende wie mich höchstens übertrieben, peinlich, lächerlich wirkte. Natürlich alle am Qualmen wie die Schlote und süchtig wie sonst niemand, und hätten ihre Schwaden mich Nichtraucher erreicht, stünde meine Wahl fest. Wer vermißte schon einen aus einer solch künstlichen Fraktion, selbstverliebte Arsch-frißt-Ministring-gebräunte Nichtsnutze?

Ich sah mich längst nicht mehr als Touri, vielmehr fast als Einheimischen, während ich ein Mädchen von vielleicht fünf Jahren beobachtete, die ein Stück weiter allein mit sich spielte, wobei sie zuweilen aufsprang. Es befand sich nicht vollständig in meinem Sichtfeld, aber ich vermutete, das süße Ding baute irgendwas im feuchten Sand und stapfte Teile davon platt. Wenngleich ich den hoteleigenen Strandabschnitt, die Duschen und Towels nutzte – und meistens immer noch auf deutsch dachte und träumte – sah ich mich als eingegliedert, gemocht, rundum akzeptiert. Mein Englisch verbesserte sich auffallend, doch nahm ich mir fest vor, es bald mit Indonesisch zu versuchen.

Der Apollo-Typ vom Watersport schlich wieder in der Nähe herum, immer auf Kundenfang, unaufdringlich, doch stets präsent, mit seiner Mappe in der Armbeuge, die  das gesamte Programm vom Schlauchboot übers Sailing bis zum Paragliding enthielt. Schmittchen Schleicher hatte seine kleinen Schweinsäuglein überall, mir einfach zu nervig. Ich dachte kurz darüber nach, mit meinen Traditionen zu brechen, mich mal um so einen zu kümmern – immerhin eine Herausforderung, drahtig doch genährt wie er war -, dann kam mir das alte Sprichwort in den Sinn: Schuster, bleib bei deinen Leisten.

Richtig, sagte ich mir, wozu bewährte Pfade verlassen, um unnötige Risiken einzugehen, wenn ich doch glücklich mit dem Gegebenen war. Ich bildete mir ein, keine wirkliche Präferenz zu haben, flexibel bis ins Mark zu sein. Unsinn natürlich, wie jeder Mensch folge auch ich bestimmten Schemata, so taten in meinem bescheidenen Falle speziell die Jüngsten, meist Mädels – ah, da hupfte die Kleine fröhlich glucksend wieder mal in die Luft – ihren bewährten Dienst. Wo wohl ihre Eltern waren; ich hatte sie noch nicht entdeckt, und das ließ mich tatsächlich ein wenig sorgen.

Zu schnell war etwas allzu Schlimmes geschehen, ein Kleines seinen Eltern, dem gewohnten Umfeld für immer entrissen, um sich geschändet und bis zuletzt gefoltert als entstelltes Etwas im sumpfigen Moor der Everglades wiederzufinden. Oder der dekadenalte Bub, der sich tapfer nach Kräften wehrte, bis er letztlich doch mit eingeschlagenen Wangen- und Kiefernknochen unlösbar fixiert auf berlinerischen Bahngleisen verharrte und mit seinem Peiniger nur gemein hatte, daß beide auf denselben Zug warteten, der sich bereits donnernd mit hundert Sachen hinter der nächsten Kurve ankündigte. War schließlich schon vorgekommen.

Es war indes ein wahres Wunder, daß ich hier lag, unbeschwert, und die Liegen nach potentiellen Opfern durchforstete. Mußten die Anstrengungen der hiesigen Behörden doch ins Unermessliche ausarten; gerade da es sich ausnahmslos (bisher) um touristische Opfer oder Vermißte handelte; doch Thomas las enttäuschenderweise nichts, nada, niente in den Zeitungen, was nur mehr sein ungläubiges Erstaunen hervorrief. Gerade er wußte ja, daß da so einige fehlten in der Sammlung, daß er die Sitzreihen der Rückflieger lichtete wie keine Naturkatastrophe sonst.

Die Motoren der Schnellboote, die die fliegenden Teppiche oder Gummibananen mit den sportbegeisterten Gästen zogen, dröhnten auf; diverse Strandverkäufer trotteten auf und ab und boten ihren unterschiedlichen Tand feil; über dem Pool hinter ihm wuselten zwei Eichhörnchen in den Palmenwipfeln umher; irgendwo in der Nähe ahmte ein tumbe Taube mit ihrem Gurren einen Kuckuck nach; und der Wind pfiff durch die Banner des Familienhotels, die in regelmäßigen Abständen die Uferlinie seines Strandabschnitts zierten.

III

Eine Kellnerin ließ kurz Geschirr erklirren, als sie ein paar Tische am Pool für den Nachmittagstee deckte. Gejohle auf den Bananenbooten; ein Kleinkind begann plärrend seinen chinesischen Eltern den Nerv zu rauben; die Unechten teilten sich auf; drei von ihnen verschwanden zum Futtern und gaben die Sicht auf weitere wundervolle Arbeiten plastischer Chirurgie frei. Nicht einmal die Ärsche waren noch echt. Einer der fünfzig Sonnenschirme wurde von einer Böe erfaßt, in die Höhe gerissen und landete umgedreht in direkter Nachbarschaft Thomas‘, der kurz erschrak. Auch eine Art natürliche Auslese, dachte er versonnen, wenngleich die beiden Plätze neben ihm frei waren, verdammt! Hätte zu gern gesehen, wie das massive Holzgestell Schädel spaltet oder Gliedmaßen abtrennt, sinnierte Thomas. Es war ihm eben nicht vergönnt.

Ich rückte meine Sunglasses zurecht. Ein Haufen Jungvolk, mehrheitlich Mädels von achtzehn bis zweiundzwanzig Jahren. Ausnahmslos knapp bekleidet, pferchten sie ihre Tangas bis zur Unkenntlichkeit in die Poritze und lösten die Bikinioberteile, um der Sonne den Rest zu überlassen. Ihm war, wenn er sich arg anstrengte, als könne er inmitten notdürftigster Tarnung dennoch jungfräuliche Lippen, gerötete Scham dank des ersten Waxing ausmachen. Herrlich! Die meisten nutzten trotz geringsten Schutzfaktors einfaches Olivenöl und glänzten mit der Milchstraße um die Wette. Ein Paradies für Spanner. Und solche wie ihn.

Wußten sie nicht, was sie anstellten, was sie mit der Männerwelt anrichteten? Ich gab mich weitgehend desinteressiert und genoß in vollen Zügen, was sich mir darbot. Nuckelte an meinem derweil lauwarmen Bintang und überlegte, wer denn nun die erste sein durfte. Sie wußten es nicht und kämpften doch verbissen um die vordersten Plätze.

Über Thomas raschelte das Laub der den Swimmingpool säumenden Bäume und Kokospalmen. Die putzigen Nager schienen verschwunden oder nur unsichtbar. Die Uhr zeigte nach 3pm an und die ersten Strandverkäufer trabten gen Feierabend. Einem, mit dem ihn ein unverfängliches Pläuschchen verband, in dem er faktisch nichts über sich verriet, winkte er zum Abschied. Oh, ihr werdet mich vermissen. Beobachtete in der Ferne die Gischt, die wie mit dem Lineal gezogen den Horizont vom Ozean trennte, und eine Triple-7, die in höhere Sphären donnerte und Europa ins Visier nahm. Die Sonne wanderte weiter und trieb kühlende Schatten aufs Land. Eine Reihe aneinander gebundene Bojen markierten etwa fünfzig Meter vom Ufer eine imaginäre Sicherheitszone, obgleich mehrere Schilder vor der Tiefe des Meeres warnten und daß No Life Guard on Duty und gefälligst jeder selbstverantwortlich war.

Thomas blinzelte hinüber; sie wirkten wie Skulls; ob es jemandem auffallen, er bald begreifen würde, wenn sich da tatsächlich Totenschädel zwischen die ballgroßen Bojen reihten? Wäre eine Überlegung wert.

Ein Angestellter schlenderte gelangweilt zwischen den Liegen umher und begann Ordnung herzustellen: Schirme und Liegen wurden heruntergelassen, zugeschnürt, Fähnchen eingesammelt (dazu gedacht, Personal für Bestellungen heranzuschaffen), liegengelassene Strandtücher in einen Sack gestopft, leere Cocktail- und Biergläser verräumt. Mehr und mehr schwanden die Gäste, um sich am Pool niederzulassen oder anderen Plänen zu folgen. Mit den Schatten wurde es merklich kühler, und bald spielte fast nur noch das eine Kind, ein Mischling vielleicht, etwas Asiatisches gepaart mit Französisch oder vergleichbarem, immer noch – oder wieder? – nur allein. Wo blieben zum Teufel die verfickten Eltern? Es mußte sich doch jemand um sein Liebstes sorgen. Wenn man das Pack einmal brauchte! Sein zartes rosa Oberkörperchen schimmerte schon rot im letzten Licht.

Viel zu lang schon lag ich tatenlos herum, regelrecht reingefräst in Tuch und Liege kam ich mir vor. Entsprechend langsam quälte ich mich hoch, sodaß ich endlich meine armen Knochen sortieren konnte. Ich streifte mir zügig mein dunkles T-Shirt über, das ich mir übrigens erst dieser Tage in der Collection zugelegt hatte und Figuren der hiesigen Sagenwelt zeigte, und setzte mir meinen breitkrempigen Panamahut auf, um mich endlich den Dingen zu widmen, die getan werden mußten; daran führte nunmal kein Weg vorbei.

Ich streckte meine Glieder. Stand bald auf meinen wackligen Beinen, begleitet von leichtem Kopfschütteln. Natürlich hing es wie so oft wieder nur an mir, die Verhältnisse zurechtzurücken.




B.U.Christiansen
Geboren Jahrgang `70 in Schleswig, zog es mich über verschiedene Stationen redaktionellen wie schriftstellerischen Tuns schließlich ins Rhein-Main-Gebiet. Dort lebe ich glücklich mit Frau und Katzen und gehe meiner Passion, dem Schreiben, nach.
Kontakt: buchristiansen@web.de






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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Potentialentfaltung und Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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