Namen und Wellen

Nora Krehan für #kkl56 „Und dann kam…“




Namen und Wellen

Da meine Liebe schon als Kind oft unerfüllt blieb, habe ich sie den Wellen übergeben. Ich rief den Namen des Jungen, den ich gerade liebte – Gabriel! Meine Arme weit ausgebreitet, ließ ich mich in die Fluten fallen.

Die Wellen haben mich aufgefangen, sie haben mich geschaukelt, hinuntergezogen und wieder hochgespült. Gabriel, Gabriel – der Name fiel ins Wasser, gemeinsam mit mir. Ich schlug Purzelbäume, mein Bauch rieb sich über die Kiesel, mein Körper wälzte sich im Sand. Und als ich blutete, weil ein Stein mir die Haut aufgeschürft hatte, war das für mich der Beweis: Gabriel hatte geantwortet.

Später, als alle Meere still lagen, und alle Seen, saß ich im Stroh und blickte zu den Ziegen. Über dem Geländer erschien der Kopf eines Jungen: Markus. Er war zehn, ein Jahr älter als ich, und er lächelte mich an. Ich war zu schüchtern, um ihn zu küssen, zu schüchtern, auch nur einen Satz mit ihm zu wechseln. Aber ich nahm seinen Namen mit. Und seinen halb verbrannten Holzstab, mit dem er so getan hatte, als würde er rauchen.

Ich lehnte mich im Wald an einen Baum, führte den rauchigen Stab an meine Lippen und flüsterte: Markus. Dann ritzte ich mit ihm ein M und ein N in die Rinde, zog ein Herz darum und einen Pfeil hindurch. Amor sollte uns vereinen. In meiner Vorstellung musste auch dieses Herz bluten, damit es wahr war. So sammelte ich meine Lieben – meine Kindheitslieben – in Holz, Erde und Feuer.

Die Luft fand ich Jahre später, in London. Julien hieß er, ein Franzose, und ich verliebte mich in ihn an der Schwelle zur Pubertät. Ich hatte nichts von ihm, nicht einmal seine Adresse. Also schrieb ich seinen Namen tausendfach auf ein Blatt Papier, faltete es und warf es in die Luft. Vielleicht würde der Wind ihm meine Liebe zutragen.

Julien hatte mich geküsst. So sehr geküsst, dass meine Lippen bluteten. Und wieder hatte ich meinen Beweis: Auch diese Liebe war erwidert.

Und das Feuer – das Feuer bleibt mir. Es bleibt in meinem Herzen und entzündet sich immer wieder, wenn mir ein Name entgegenfliegt.




Nora Krehan, geboren 1980 in Wien, arbeitet seit 1999 als Schauspielerin. 2013 trat sie in die Mutterschaft ein, was ihr Leben und Schreiben stark geprägt hat. Schon immer eine leidenschaftliche Leserin, begann sie vor kurzem, eigene Texte zu veröffentlichen und literarisch zu verdichten.





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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Potentialentfaltung und Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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