Der Mensch

Brigitte Hiebefür #kkl56 „Und dann kam…“




Der Mensch

Prolog

Ein Sommerabend im Schwäbischen Wald. Im Jahr 2022.

Schon von weitem habe ich die Frau und den Mann mit den zwei Pferden die Straße herunterkommen sehen. Bald würden sie in den Feldweg einbiegen, wo sich die Koppeln befinden. Und unsere Bank. Wir beschließen, ruhig sitzen zu bleiben, bis sie vorbei sind. Denn kurz zuvor hatten zwei Riesenrösser, als sie unser ansichtig wurden, vor Schreck einen abrupten Schlenker über die Wiese gemacht, dabei den Planwagen samt Kutscherin ordentlich durchgerüttelt. Sie hatten uns nicht bemerkt. Denn unsere Bank steht etwas zurückgesetzt, eingerahmt von dicht belaubten Erlen.

Wir sitzen und warten. Die Frau sieht uns zuerst, ruft über die Schulter zurück zu dem Mann hinter ihr:

„Vorsicht, Menschen!“

Frau mit Pferd und Mann mit Pferd ziehen unbehelligt an uns vorüber.

Und was ist das jetzt für ein Geräusch? Ein Frosch? Oh, die Schnauze eines Hundes kommt in Sicht, danach der ganze Hund, schließlich ein Stückchen Leine. Ich rufe vorsichtshalber:

„Vorsicht, Menschen!“

Die Frau am anderen Ende der Leine lacht, sie habe uns nicht gesehen. Hund mit Frau zieht weiter.

In Zukunft werden wir uns natürlich durch Singen bemerkbar machen, damit die Pferde Bescheid wissen.  So wie anderes Getier.

Schon wenige Tage später belohnt uns die Natur für unsere Fürsorge: Ein Graureiher segelt über die Wiese und landet direkt vor der Bank. Der erste seiner Art, den wir hier in der Ecke zu Gesicht bekommen.

WALES IM SOMMER 1987

Ich bin ein Berg. Sehr groß. Der einzige hier. Aus dem Meer erhebe ich mich. Hügelig und langsam steige ich an. Mit Tälern und Hochebenen. Bis ich mich zuletzt steil nach oben recke. Das ist die eine Seite von mir.

Von meiner anderen Seite haben die Menschen mit ihrer Zivilisation Besitz ergriffen: Es wurden Gleise gelegt und in rasendem Tempo und lärmend kommen die Massen auf meinen Gipfel gestürmt, trinken Kaffee und Bier in überfüllten Räumen, lassen sich dann wieder abwärts tragen von dieser Maschine, die man auf mich angesetzt hat.

ABER

Ich bin wild.

Karg.

Steinig.

Moosig.

Weit.

Leer.

Für die, die das aushalten.

Ein paar Stufen führen zu meinem Buckel.

Brüchige.

Gefährliche.

Wenige nähern sich mir von dieser Seite.

Ich liebe die Wenigen.

Begrüße sie.

Mit Nieselregen.

Mit Nebelschwaden.

Sie können mich hören.

Meine Lieder.

Ich singe von der Zeit.

Ein paar Tage nur bin ich alt.

Ich blinzle.

Jahrtausende für euch.

Menschen!

Horcht auf meinen Herzschlag.

Kommt der Ewigkeit näher.

Ein paar Millimeter.

WENN

ich an die Zukunft der Erde denke,

weine ich Steine.

Hört auf mich.

Den Berg.

Snowdon mein Name. SIR Snowdon.




Brigitte Hieber studierte Germanistik, Anglistik und Philosophie und war, neben beruflich bunten Stationen, vor allem in der Erwachsenenbildung tätig. Heute lebt sie mit Mann und Katze auf dem Land im Schwäbischen Wald, wo sie als ausgebildete Schreibpädagogin auch Kurse im Kreativen Schreiben anbietet.

Über ihr Schreiben sagt sie: Ich bin eine Forschende, gehe den Dingen gern auf den Grund, habe aber auch einen Hang zum Skurrilen und Wundersamen. Beim Schreiben sind mir Verdichtung, die Freiheit der Phantasie sowie Wahrhaftigkeit wichtig. Es kann auch sein, dass sich ein Augenzwinkern einschleicht.







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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Potentialentfaltung und Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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