Rainer „Reno“ Rebscher für #kkl56 „Und dann kam…“
L I C H T E R G O T T
Winterdunkelheit
kriecht durch
die Straßen.
Lautlos schwebt
der Rollstuhlfahrer
durch die junge Nacht
mit großen Lampenaugen.
Scheinwerferkegel
bahnen einen Weg
durch Nebelschwaden.
Der gelähmte Nachbar
rockt die Vorstadt,
gleißt die Nacht
im Flug entzwei,
Silberstrahlentanz
reißt Gärten
aus dem Winterschlaf.
Blitzgott
ist er für einen stummen
Augenblick
im grellen Rausch
der Lichtgeschwindigkeit!
Lichtergott
war er für einen grellen
Augenblick!
Zugfunken
Sein Lächeln
trifft ihres
im Zugabteil
Ertappt
streift sie das Haar
um ihren Kosmos
Sternschnuppen
verglühen
im Buch auf ihrem Schoß
Seine irdischen Signale
kappt
die Tageszeitung
Sie steigt aus
stumm unterkühlt
in den Winternebel
Blicke treffen sich
noch einmal
vor der Unterführung
Zügig
läuft sie
in das schwarze Loch
VIKTOR & ANDREA
In dir versunken und abgewandt
vom Alltag des Wohnheims malst du ein Land
mit Berg, auf dem Gipfel ein A azurblau,
ins Tal schreibst du grün ein einsames V.
Doch wenn Andrea naht mit dem Helm,
lachst du die Sonne vom Himmel, du Schelm,
fasst ihre Hände, mit etwas Glück
zieht ihr euch aus der Zeit zurück,
verpasst den Betreuer, die Werkstatt, das Essen.
Ein uraltes Spiel spielt ihr weltvergessen:
Verstecken. Dann sucht euch
die Polizei:
Sie sind behindert und ohne Arznei,
die jüngere Frau mit Anfallsgefahr,
er hat Morbus Down – ein Liebespaar!
Ihr werdet wohl wieder am Bahndamm sitzen
und jubeln, wenn Züge vorüber flitzen.
Rainer „Reno“ Rebscher, *1949 in Darmstadt, wh. Niedereschach (BW). Psychotherapeut, Autor, Liedermacher. Mitglied der Gesellschaft für Zeitgenössische Lyrik Leipzig. Zuletzt erschienen: Neue Boote für die hellen Tage, 80 Gedichte, Reihe Poesie 21, Hrsg. Anton G. Leitner, Verlag Steinmeier, Deiningen, 2020. Drei Lyrikbücher seit 2012, mehrere CDs (zuletzt „Zwischenland – Liedpoesie“ bei Conträr Musik). In Anthologien wie Das GEDICHT, Versnetze, Poesiealbum Neu.
Über #kkl HIER
