Monika Schlößer für #kkl56 „Und dann kam…“
beichten, baden, Kulenkampff….
In dieser Reihenfolge lief Mitte der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts bei den meisten bundesdeutschen Familien das obligatorische Samstagnachmittag-Ritual ab. Zumindest in den vorwiegend katholischen Regionen.
Hatte die Familie jedoch eine größere Kinderschar einzuseifen, wurde auch schon mal der umgekehrte Ablauf praktiziert. Dann mussten die Größeren zuerst geschrubbt und danach zur Beichte geschickt werden. Anschließend stand das Badewasser den Kleinkindern und dem Rest der Familie zur Verfügung. Wenn Vater dann als letzter aus der Wanne stieg, war das Wasser kälter als lauwarm und der emaillierte Boden beinahe so sandig wie der Grund einer Kiesgrube.
Mutter hatte in der Zwischenzeit einen Teig angerührt und die Kuchenform in den Backofen geschoben. Nachdem Vater aus den Fluten gestiegen war, konnte sie endlich die Familienwanne mit Ata säubern und anschließend im Beichtstuhl auch ihre Seele wieder ins reine bringen lassen. Und wenn sie später mit hochroten Wangen aus der Kirche zurückkam, den Sonntagsbraten ins Rohr geschoben und den Kartoffelsalat aufgetischt hatte, dann wurde es richtig gemütlich. In heiterer Vorfreude setzte sie sich neben Vater aufs Sofa und wartete auf einen Charmeur, der mit den Augen lachen konnte. Die Spannung stieg sichtlich an – und dann kam er endlich – Hans-Joachim Kulenkampff!
Doch auch die Oma, die Tant und die schulpflichtigen Kinder – sie alle saßen und hockten im Halbkreis um den Flimmerkasten herum und schauten gebannt auf die Mattscheibe.
„So ein schöner Mann!“, seufzte die Tant, Mutters unverheiratete Schwester, während Vater eher von den Tänzerinnen der Showeinlage begeistert war. „Toll!“, rief er ein über das andere Mal aus. „Echt Klasse!“
Oma konnte sich eher für Martin Jente, Kulenkampffs legendären Butler, begeistern: „Ist der Mann nicht herrlich? Der ist fast so gut wie Theo Lingen.“
Wenn Kulenkampff in eine seiner diversen Theaterrollen schlüpfte, schmolz Mutter dahin wie ein Stück Butter in der Toskana: „Der Mann ist ja so gebildet. Was der alles kann!“
„Wenn ich dem seine Ausbildung gehabt hätte…“, maulte Vater pikiert und machte einen Schmollmund. „Uns haben ‘se ja nichts beigebracht. Damals, in unserer Jugend. Und dann kam gleich der Krieg.“ Verbittert hob er seinen Bierkrug an die Lippen und nahm einen kräftigen Schluck.
„Kann ja nicht jeder Showmaster werden“, tröstete die Tant ihren Schwager. „Du kriegst deine Familie doch auch so satt.“
Vater nickte und strich wohlig über seinen Bauch: „Uns geht’s nicht schlecht, wie man sieht. Und trotzdem himmelt meine Doris mich nicht so an wie diesen Kulenkampff.“
„Du hast ja eh nur Augen fürs Fernsehballett“, giftete Mutter zurück.
„So, wie du immer rumläufst, ist das auch kein Wunder“, zischte Vater und blickte demonstrativ auf den Bildschirm.
Das saß. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Oma ihren Sohn an: „Werner, sag bloß, du findest diesen unanständigen Fummel, den diese Weiber da anhaben, schön? Bei denen kann man ja bis in den siebten Himmel gucken!“
Der zwölfjährige Heinz wurde puterrot im Gesicht. Der Ärmste wusste nicht wohin mit seinen Blicken, wohin mit seinen Armen, und die Beine waren ihm auch im Weg. Karin fing an zu kichern und verschluckte sich prompt an ihren Salzstangen. Als sie hustete und prustete, schickte Vater den Teenager zu Bett: „Wenigsten beim Fernsehgucken will ich meine Ruhe haben!“, grollte er mit wütenden Blicken.
Der neunjährige Michael mümmelte derweil Erdnussflips, die er zuvor unauffällig in Omas Glas mit dem Eierlikör getunkt hatte.
„Noch ein Löffelchen Kartoffelsalat, Mutter?“, flötete Doris mit betont liebenswürdiger Stimme.
Ihre Schwiegermutter schielte zur Kristallschüssel und schob den Teller ein Stück vor: „Tu drauf. Auch von den Gürkchen. Wär‘ doch zu schade, wenn was schlecht würde.“
„Mir ist schon schlecht.“ Wie auf Kommando sprang Michael auf, zwängte sich an Tantes Knien vorbei und rannte zur Toilette.
„Mach beim Kotzen gefälligst die Klotür zu!“, tobte der Vater. „Das Haus ist so verdammt hellhörig!“
Dann versuchte er, seine Stimmbänder wieder unter Kontrolle zu bringen. Es gelang ihm weniger überzeugend: „Warum frisst der Zwerg auch all unsere Erdnuss-Würmchen auf?“
„Mann, jetzt hab‘ ich die Quiz-Frage wieder nicht richtig verstanden.“ Die Tant schnappte nach Luft: „Könntet ihr wenigstens einmal am Tag still sein? Wenn ich mal was sehen will…“
Mutter Doris erhob sich seufzend, um ihrem Michael in seinem Leid beizustehen: „Wenn es gerade am schönsten ist, muss ich mich mal wieder um die Kinder kümmern.“
Mit dem linken Ohr hörte Werner die Klospülung rauschen und mit dem anderen lauschte er dem Kriminal-Tango, dargeboten vom unübertroffenen Hazy-Osterwald-Sextett. „Das Beiprogramm ist mal wieder Spitzenklasse“, lobte er die Programmgestalter.
Auch die Tante ließ keine einzige Sendeminute unbeachtet verstreichen. „Und unser Kuli ist ein großartiger Entertainer“, nickte sie zustimmend.
„Auf den Kulenkampff freue ich mich jedes Mal die ganze Woche im Voraus“, pflichtete ihr Werners Mutter bei. „Bloß schade, dass ich die Sendung nie bis zum Ende sehen kann.“ Seufzend schlug sie die Augen nieder und stemmte sich an den Armlehnen ihres Sessels hoch. „Heute muss ich schon wieder auf die netten Schlussworte von Martin Jente verzichten.“
„Also Mutter, wenn du keine Zeit zum Fernsehgucken hast, dann bist du es selber schuld.“ Werner vergaß, ein weiteres Stück von seiner auf halber Höhe verweilenden Knackwurst abzubeißen.
„Mein lieber Sohn, du weißt ganz genau, dass morgen Punkt 7 Uhr die Frühmesse beginnt“, ereiferte sich die alte Dame. „Aber das scheint in diesem Haus ja niemanden mehr zu interessieren. Gute Nacht!“
Monika Schlößer
Geboren 1949, lebt mit ihrem Mann in Bad Münstereifel, 2 Töchter und Enkel. Mittlerweile über 100 Veröffentlichungen von Lyrik, Kurzkrimis, Kurzprosa und Märchen in Anthologien, Kunst-Kalendern (éditions trèves), Jahrbüchern (Kreis Euskirchen), (Literatur)-Zeitschriften, Schaufenstern, auf einer Lyriksäule und bei online-Magazinen wie kunstkulturliteratur.com
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