Lauf der Zeit (simpel)                  

Christian Schwetz für #kkl56 „Und dann kam…“




Lauf der Zeit (simpel)                                                                                          

Es war einmal. Es war zweimal, es war dreimal. Es war Zeit.

Die Affen sind lieb und gesellig. Sie kümmern sich um die Kleinen und die Alten und die Kranken. Sie grinsen und sie lausen und sie lieben sich. Und dann läutet ein Wecker und einer steht auf. Dann vergehen Sekunden oder Minuten.

Dann steht noch einer auf und dann noch einer. Meist sind es die Männchen, aber dann und wann, gestern, heute, morgen, sind auch Weibchen dabei. Und dann nehmen sie Stöcke oder sie nehmen Steine, gestern so, morgen so, und dann ziehen sie los.

Und dann vergeht Zeit. Weil immer Zeit vergeht. Weil die Zeit nie stehen bleibt, weil die Affen nie stehen bleiben, wenn sie das lieb und gesellig und fürsorglich sein in einer Grube vergraben und in den Krieg ziehen. Wenn es keine Zeit gäbe, gäbe es keinen Krieg. Es gibt immer Zeit.

Es war Zeit, in den Krieg zu ziehen. Das ist lange her, das war einmal, das war zweimal, und es passiert gerade wieder irgendwo. Und es wird in Zukunft wieder passieren.

Jetzt ist schon wieder was passiert. Damals, dann, jetzt dreschen ein paar Stöcke oder Steine auf ein paar Schädel ein und auf Schultern und auf Nasen und auf Unterarme. Damals, dann, jetzt fließt Blut und die Überfallenen schreien und die Ausgerasteten schreien. Und das Blut schreit und die Stöcke und die Steine.

Dann war es vorbei, ist es vorbei, wird es vorbei gewesen sein. Ein paar Affen weinen und Steine weinen und Stöcke sind zerbrochen worden. Und Schuld ist die Zeit. Weil sie vergeht und sich wiederholt. Weil nix gleichbleibt und sich nix ändert.

Jetzt haben wieder ein paar Affen Uran angereichert, um neue Atombomben zu bauen. Dann haben andere Affen das Schießpulver erfunden, damit sie in die Schule gehen, und peng peng peng ein paar Stöcke und Steine niederschießen dürfen.

Dann haben die Affen den real existierenden Sozialismus in die Grube geworfen, weil die Zeit dreht sich und wendet sich und will und will nicht.

Was die Affen machen, wenn sie nicht lieb und lustig sind und sich nicht gerade lausen und lieben, ist nicht schön, aber man kann es nicht mit dem vergleichen, was die Deutschen gemacht haben.

Dann haben die Affen keine Lust, politisch korrekt zu sein, und nennen jeden Deutschen Nazi und nennen jeden Faschisten Nazi und nennen jeden feschen Jungaffen Nazi, obwohl den Affen klar ist, dass die meisten Deutschen und Faschisten und feschen Jungaffen kein Parteibuch der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiter Partei haben. Das ist diesen Affen egal, weil sie wollen Nazi doch nur als schlimmstes Schimpfwort verwenden, das sie kennen. Sie wissen, dass kaum einer, der beschimpft werden muss, so schlimm ist, dieses Wort zu verdienen.

Und nach einem Großen Krieg kommt ein Zweiter und dann ein Erster Weltkrieg. Obwohl die Affen von Anbeginn bis Anbeginn schon ab und zu nach Steinen und Stöcken gegriffen haben.

Dann hängen die Affen zumindest die meisten Könige an Laternen und glauben, jetzt sind sie Demokraten.

Und dann gibt es den Amerikanischen Bürgerkrieg und den Taiping Aufstand. Dann gibt es die Bürgerliche Revolution von 1848, aber die Burschen-Affen sind Nazis, weil nur ein Nazi erfindet Steine und Stöcke und Nationen und Atombomben.

Dann gibt es eine Französiche Revolution, weil Louis Antoine de Saint Just ist fast so fotogen, wie Che Guevara, und wie die bleiche, weißgepuderte Ermittlerin Lilly Rush in Cold Case. Weil Lous Antoine de Saint Just ist für einen der Affen so eine faszinierende Mischung aus Che Guevara und Lilly Rush. Andererseits sollte nicht verheimlicht werden, dass dieser eine Affe auch irgendwann auf den jungen Colonel Muammar Al Gaddafi steht, bevor dieser hingerichtet wird und in den Cäsarenwahn verfällt.

Und dann gibt es den 30-jährigen Krieg und dann den 100jährigen. Und dann gibt es die Lushan-Rebellion. Und dann gibt es die Affenwanderung, bei der die Affen öfter nach Stöcken und Steinen greifen, als sich um verwaiste Kleinkinder zu kümmern, oder sich zu lausen. Oder zu lieben.

Und dann gibt es hunderte Römeraffenkriege, gegen Abbasiden und Umayyaden und Langobarden und Franken und Briten und Gallier und Sarazenen und Parther und Ägypter und Griechen und Karthager und Latiner und Sabiner.

Und dann gibt es, nach vielen, vielen Affenkriegen einen vor-vorletzten Sündenfall. Die Affen nennen den Sündenfall neolithische Revolution, und lassen sich an besonders hässlichen Plätzen nieder, um das Blut der Nachbaraffen in den schönen Heimatboden sickern zu lassen. Dann erfinden sie das Wort Scholle. Und das Wort Heimat und Worte wie Eigentum und Verwaltung und Regierung und Macht und Gott.

Und dann gibt es einen vorletzten Sündenfall. Die Affen bändigen das Feuer, damit sie die Dächer der Nachbarn anzünden können, und sich die Gehirne groß und gierig fressen. Und damit sie die Scheiße, die sie fressen, schön verdaulich garen, braten und rösten können.

Und dann gibt es einen allerletzten Sündenfall. Die Affen nehmen Werkzeuge in die Hand, um sie auf andere Schädel runterzudreschen. Und in der Erkenntnis, dass da ein anderer Schädel ist, auf den man dreschen kann, erkennen sich die Affen selbst und erlangen Bewusstsein. Und verlieren das Bewusstsein.

Und das Wort ZEIT steht am Anfang und am Ende und ist Schuld.

Einer muss Schuld sein.




Christian Schwetz, geb. 30.12.1962, lebt und arbeitet in Wien.

Gründungs- und Vorstandsmitglied von „DAS SPRECH-Initiative für Sprach-, Sprech- und Hörkunst“.

Veröffentlicht zuletzt 2021: „Wunderschönes Tier“; Textsammlung; Edition Libica







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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Potentialentfaltung und Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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