Schmieren und Scheitern

Lionel Hausheer für #kkl57 „Selbstermächtigung“




Schmieren und Scheitern (Zukunftssehnsucht)

Je schneller man sich durch den Raum bewegt, desto langsamer vergeht die Zeit. Wir sitzen hier seit irgendwann am Nachmittag und nippen Dosenbier auf der Museumsmauer, während der Sommerabend sich zersetzt.

Sie sagt:

Wahnsinn, wie wir nichts getan haben.

Ich nicke und nippe.

Je schneller die Zeit vergeht, desto weniger bewegt man sich.

Wir reden, manchmal mit minutenlangen Pausen. Dann sagt sie oder ich etwas, das gleichzeitig Antwort, Anfang und Frage ist. Mein Bier, die Luft, alles so handwarm. Das Museum hinter uns ist schön beleuchtet, durch das Licht wirkt der Sandstein makellos. Vor uns auf der anderen Straßenseite: Eine Verkaufsfläche. Drinnen nur Farben, Ecken und Kanten, gerade und klar, wie Konzernleitlinien.

Jemand hat über die Fensterfront des Ladens gesprayt:

Was tust du für die Zukunft?

Die grellgrüne Farbe ist teilweise in zähen Tropfen erstarrt, kleine Farbnebel schweben neben den eigentlichen Buchstaben. Ein kleiner Fleck ist sogar am Gehsteig. Der Laden verkauft Dämmungen und ich war mir kurz sicher, dass es nur eine findige Werbeidee sei, bis ich den Fleck gesehen habe.

Sie sagt:

Wir könnten auch uns wohin setzen, wo es schöner ist.

Ich sag:

Glaubst du, gehört der Fleck zur Schrift?

Wir schweigen und schauen den Fleck an. Ich folge dem Tropfweg nach oben und versuche mir vorzustellen, ob das Geschmierte überhaupt zu dem Fleck hätte führen können.

Das Schöne an Geschmiertem ist, dass immer etwas passiert, was keiner wollte. Wenn man im Geschmierten nur sieht, was gemeint war, verpasst man das Beste. Das Beste sind die Ränder, die Tupfen, die Tropfen, die Schlieren, die Nebel.

Schmieren hält sich an nichts, es passiert nebenbei. Schmieren zeigt, es geht um was anderes. Deswegen malt man keine Demoplakate, man schmiert sie. Schmieren ist die Ästhetik des Nebenprodukts. Deswegen sind saubere Unterschriften verdächtig.

Ich sag:

Glaubst du, das ist echt?

Sie sagt:

Phuu.

Ich versuche im „Z“ der Zukunft die Absicht zu sehen. Aber ich bin mir nicht sicher.

Sie sagt:

Glaubst du, der Art Director der Agentur bekommt einen Preis?

Ich sag:

Mmh.

Der Schriftzug scheint mir sehr passend. Strategisch Geschmiertes verliert allen Sinn. Weil Geschmiertes nur schön ist, wenn es um was geht, wenn man dabei zumindest ein wenig scheitern wird.

Aber Strategen scheitern nie. Sie verschätzen sich. Dabei sind sie blind für die anarchische Schönheit der Kleckse.

Ich sag:

Na, magst noch was machen?

Sie sagt:

Der Abend ist noch jung.

Ich überlege und merke, ich hätte Lust auf irgendwas, was ganz groß ausgeht. Ich hätte Lust auf Katastrophen.

Nichts, was bloss Ziele verfehlt, kein Projekt, das im schlimmsten Fall gelingt, oder dann doch etwas kleiner wird, als gedacht. Ich will, dass der Boden wegbricht und dass wir da Gold finden, dass wir damit die Weltmärkte schwemmen und nach dem Kollaps eine Arschloch-Steuer einführen. Oder sowas halt.

Wir nippen, ich schau den Klecks an und hoffe, dass er echt ist.




Lionel Hausheer, 1993 geboren in Zug (CH), lebt in Wien (AT), schreibt Prosa, Lyrik Essays und Reportagen zu verschiedenen Anlässen.







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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Potentialentfaltung und Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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