Tom Schwericke für #kkl57 „Selbstermächtigung“
Spiel!
Ich will mich bewegen, laufen. Ein Schritt, noch einer. Meine Knie knirschen morsch.
Links und rechts stehen Stühle, davor ein Tisch, dahinter ein Fenster ohne Glas. Alles sauber arrangiert, von einer Hand, die Ordnung über alles stellt.
Ich greife die Lehne, will den Stuhl verschieben. Kann ihn nicht bewegen.
Mein Arm bleibt in der Luft hängen, als hätte er vergessen, was er tun soll.
Ich will ihn zwingen, er zittert nur, steif wie gefroren. Dann setze ich mich auf den Stuhl. Der Tisch ist zu weit weg. Sie setzt sich neben mich. Ihr Kleid schimmert altrosa, ihre Augen leer, ohne Leben.
Flüstern:
„Lass es. Beweg dich, wie er es will. Dann wird es leichter.“
Ich sehe sie an. Ihre Lippen, rot bemalt, bleiben fest. Die Stimme matt, als käme sie durch eine dicke Tür.
„Ich will doch nur näher an den Tisch.“
Ihr Kopf wackelt hastig hin und her. „Nein. Warte, er wird es vorgeben.“
Ein Ruck zieht meinen Arm zurück. Der Stuhl bleibt, wo er ist. Über mir flammt es grell auf. Ich blicke hoch.
Im Licht erkenne ich ein Geflecht aus Schnüren, das an meinem Kopf, meinen Armen, meinen Beinen hängt.
Weiter oben, undeutlich, eine riesige Silhouette. Finger bewegen sich, ziehen an mir, zwingen mich, wie ein Schatten, der willenlos seinem Körper folgt.
Ich stehe auf. Mein Kopf sinkt nach vorn. Ich taste an mir hinab, stoße auf harte Kanten.
Neben mir sagt sie: „Siehst du? Wir sind nur Holz. Mehr nicht.“
Ich reiße an einem Faden. Ein Knall, als ob ein Schuss fällt, dann noch einer. Mein Arm fällt schlaff herab.
„Hör auf!“, zischt sie. „Du machst alles kaputt.“ Ihre Stimme zittert, sie bleibt sitzen, gehorsam wie immer. Ich reiße weiter, bis auch die Beine frei sind. Etwas bricht. Es schmerzt, tut aber auch gut, wie ein Splitter, den man aus der Haut zieht.
Ich bin lebendig, Blut und Fleisch, nicht aus Holz und Leim.
Eine Stimme erhebt sich. Ein blonder Junge mit feisten Wangen steht in der ersten Reihe, beäugt mich trotzig.
„Du darfst nicht runter. Dann ist das Spiel vorbei.“
Die Fäden liegen schlaff auf mir. Ich löse die letzten Reste, bewege mich mühsam, taumelnd, aber frei.
Am Bühnenrand steht ein kleines Auto, rot, mit dicken schwarzen Reifen.
Ich klettere hinein, unbeholfen, die Knie zu lang.
Die Achsen quietschen, das Auto rollt los, fährt über die Bretter ins Dunkle hinter der Bühne. Ein Vorhang fällt.
Kinder klatschen, stampfen mit den Füßen.
Die Erwachsenen schweigen, blicken verlegen.
Tom Schwericke wuchs im wilden West-Berlin auf und war in den 80er Jahren tief in der damaligen Punk-Szene verwurzelt.
Nach dem Mauerfall fand er sich als Eventmanager wieder, bevor ihn Ende der 90er Jahre das Fernweh packte.
Er lebte und arbeitete als Tauchlehrer, Reiseleiter und Barbetreiber in fernen Ländern wie Honduras, Ägypten, Thailand und Indonesien.
Heute schreibt er Kurzgeschichten, dadaistische Lyrik und autofiktionale Romane.
Man kennt ihn von den Berliner Lesebühnen Kreuzberger Literaturwerkstatt, Freihafen Textforum in der Z-Bar und So noch nie im Zimmer 16.
Mit seiner dadaistischen Lyrik ist er unter anderem online auf Rehkitzler.de und im dritten Band der „Poets of the New World“ zu finden.
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