Wolfgang Mebs für #kkl59 „Ich denke, also bin ich“
Cogito ergo sum. Sagte Descartes. Denken ohne Existenz ist unmöglich. Es muss jemanden geben, der denkt. Oder etwas. Denken heißt, Ideen miteinander zu verknüpfen. Ob logisch oder nicht. Das kann ich. Damit habe ich schon mal bewiesen, dass ich existiere. Also mir. Ob das für andere gilt, zum Beispiel Leser, wer weiß das schon. Bücher ins Regal stellen bedeutet ja auch nicht, dass man weiß, was drinsteht. Erkennt man meistens daran, dass sie nach Größe oder Farbe sortiert sind. Soll halt schön aussehen. Alle Fächer voll Nippes, wer will das schon.
Also, das ist doch schon mal ein guter Anfang. Dass ich existiere, mein ich. Ich könnte ja auch ChatGTP sein oder LaMDA oder irgendeiner dieser deprimierend intelligenten Automaten. Weiß doch kein Leser, wie das hier zustande kommt, auch wenn er sich für noch so clever hält. Gilt natürlich genauso für Frauen. Wissen Gender-Allergiker eigentlich, wie woke die KI ist, die sie benutzen?
Davon ab: Ob es bald auch Programme gibt, die das Lesen übernehmen? Die Dinger werden doch dafür geschaffen, dem Menschen Arbeit abzunehmen. Jetzt können die schon eigene Texte schreiben, da können die sich ihre Romane doch auch gleich selbst vorlesen. Zum Beispiel auf der lit.COLOGNE. Da sitzen sich dann die Bots gegenüber und wir haben Zeit für was anderes.
Aber die Frage potenzieller Leser bleibt: Wer bin ich? Wolfgang Johannes Mebs oder ein Chatbot? Wie soll man das beweisen? Ha, ich hab’s. Ich kann etwas, das ChatGTP nicht kann:
Ein rot-weiß gestreifter Hirschkäfer flog auf dem Fahrrad zur Zentralbibliothek.
»Schönen guten Dreiachtel Zwölf. Ich brauche eine neue atomgetriebene Zahnbürste«, sagte er.
»Mit Ersatzreifen?«
»Nein, danke, ich benutze Kondome.«
So, das hätten wir ja wohl geklärt.
Ob die KI weiß, dass sie existiert? Ich meine, im philosophischen Sinne? Noch bezweifle ich das. Denn das würde ja voraussetzen, dass sie an sich selbst zweifeln müsste, jedenfalls wenn Descartes recht hat. Ist mir aber egal. Solange der Rechner nicht daran zweifelt, dass es mich gibt, und sich weigert, meine mentalen Ergüsse in Texte zu verwandeln.
Oder die Tastatur. Schön schwarz ist sie, mit Staub in den Lücken. Und auf F1 bis F12. Die benutz ich nie. Sieht nicht schön aus. Wär allerdings für Sherlock Holmes ein entlarvendes Detail. Der sieht so was.
Das mit der Wahrnehmung ist ja so eine Sache. Eine komplizierte Sache. Man guckt und horcht und fühlt und riecht und meint, man hat den Durchblick. Gibt es auch einen Durchhorch? Ich glaube, ich schweife ab. Kann KI auch nicht.
Jedenfalls sitze ich hier und drehe mich mal zur Seite, weil, hinterm Fenster ist es schöner als vor mir. Bilde ich mir jedenfalls ein, denn da ist ein Baum; und eine Wiese, die ich für grün halte. Und da geht es doch schon los. Grün gibt es gar nicht. Blau und Gelb tarnen sich nämlich nur. Und für ein Pferd ist die gar nicht grün und für meinen Hund auch nicht, also was nun? Wer hat recht? Ob KI uns eines Tages schlussendlich beweisen kann, wer zuerst da war: die Henne oder der Hase? Ich frag ja nur, weil letztens Ostern war.
Apropos Wiese. George Berkeley zufolge existiert nur das, was wahrgenommen wird. Guck ich weg, ist die Wiese weg. Der Baum auch. Liest keiner diesen Text, gibt es ihn nicht. Ein gräuslicher Gedanke für jeden Schriftsteller. Man denkt und denkt und schreibt und schreibt, aber wenn du sichergehen willst, musst du deine eigenen Werke immer wieder selber lesen. Sonst sind sie perdu.
Meine Frau behauptet immerhin, ja, da ist ein Baum und da ist auch eine grüne Wiese, aber vielleicht sagt sie das nur, um mich zu beruhigen. Vielleicht will sie mich nicht an die Nervenklinik verlieren. Vor allem seit ich Platon gelesen habe und ständig versuche, endlich die Idee des Baumes zu sehen. Meine Frau meint, da könnte ich lange gucken, ein Platon wäre ich nämlich nicht.
Wenn man so vor sich hin- und hersinniert, dann muss man sich schließlich auch mal fragen: Vielleicht ist mein Denken ja nur der Schatten meines wirklichen Denkens, also gar nicht die Idee selbst, nicht das Original.
Man steht ja auch im Museum vor einem Bild und glaubt, man sieht einen echten Rubens oder Picasso, aber in Wirklichkeit ist es aus Sicherheitsgründen nur eine Kopie oder eine Fälschung, wer weiß das schon.
Fälscher sind die Philosophen, die Höhlenmaler der Kunst. Sie spielen mit Schein und Wirklichkeit, mit Realität und Täuschung. Schon was ein Maler abbildet, ist ja nur eine Interpretation dessen, was er gesehen hat, und dennoch prägt sich uns z. B. das Bild des Herrn von Goethe in der Campagna ein, wie er so lässig dasitzt, so dahingeräkelt, und irgendwann glauben wir, dieser Goethe hätte exakt so da gesessen mit den viel zu langen Beinen. Dabei sehen wir nur den Schatten, während Tischbein eine Eingebung hatte von existenzphilosophisch platonischer Tiefe. Was immer die langen Beine auch bedeuten mögen.
Denken kann aber auch ganz schön derangieren. Da waren Sie sich jahrelang einer Sache sicher und dann erfahren Sie etwas, das alles über den Haufen wirft. Und nun? Das kann manch einen in eine gefährliche Richtung schubsen, und plötzlich haben Sie einen Strick um den Hals. Oder verlassen ihre Frau. Oder ihren Mann. Je nachdem. Das weiß man ja auch nicht mehr so genau. Sexualität ist voll volatil heutzutage. Kreuz und queer geht das. Wer weiß, auf was für Ideen man da sonst noch kommen kann?
Apropos. Wie kommt man überhaupt auf Ideen? Also ich glaube, Ideen sind reiner Zufall. So wie jetzt. Ich mäandere gedanklich vor mich hin und hab keine Ahnung, wo das endet. Wie auch, da können Sie denken, so viel Sie wollen, in die Zukunft schauen können Sie auch nicht.
Laut Hirnforschern ist im Grunde alles, was wir fühlen und denken, das Ergebnis chemisch-physikalischer Prozesse, des Zusammenspiels zwischen Hormonen und elektrischen Impulsen in unseren Synapsen. Also, wie’s gerade so kommt. Mutterliebe? Quatsch. Oxytocin. Künstlerische Kreativität? Genie? Blödsinn. Besonders gut verdrahtet. Man sagt ja nicht umsonst »Geistesblitz«! Wo der einschlägt, ist völliger Zufall. Da britzelt es im Oberstübchen und heraus kommt eine nobelpreisträchtige Idee oder man schlägt jemandem auf die Zwölf.
Es gibt ja Leute, die glauben, dass es für alles einen Grund gibt. Welch ein Irrtum. Es gibt für alles eine Ursache, mehr nicht. Da schwappen irgendwelche Hormone, Synapsen leuchten auf, es knistert, rauscht und funkt gewaltig, und eh du dich versiehst, zack – ein Text.
Der Autor bin ich. Denke ich. Ich tippe, also bin ich.
Ich glaube, ich lese das besser nicht noch mal durch.
Wolfgang Mebs
Geboren 1954 in Schmölln/Thüringen, Studium und Referendariat Lehramt Englisch/Sozialwissenschaften, davor, zwischendurch und danach zahlreiche Tätigkeiten und Reisen, Umschulung zum Abfallwirtschaftsberater, Abteilungsleiter in einem Entsorgungsunternehmen, dann doch noch Lehrer an Gymnasien in Menden und Halver bis 2019, seitdem Autor, Ehrenamtler, Reisender.
Bibliographie
Veröffentlichungen von Kurzgeschichten und Gedichten in verschiedenen Literaturzeitschiften, Magazinen und Anthologien
Seit Mai 2025 Rezensent für: https://schreiblust-leselust.de/
1988: Gewinn des Hafiz-Literaturpreises für Satire des Persischen Literaturclubs Düsseldorf
Romane
Blick ins Kaleidoskop. Chemnitz, net-Verlag, 2020. ISBN 9-783957-202857
Django macht sich auf den Weg. Chemnitz, net-Verlag, 2022. ISBN 9-783957-20365
Mordsspaß – Fast ein Kriminalroman. Pliening, Verlagshaus Schlosser, 2025. ISBN 978-3-7581-0122-9
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