Leonie König für #kkl59 „Ich denke, also bin ich“
Die Freuden des Frühlings
Seit Wochen brachen endlich wieder die warmen Sonnenstrahlen durch das Dickicht der Bäume. Der Winter war kalt und mühsam gewesen und die Sehnsucht nach dem hellen Kreis, der die Blumen zum Wachsen brachte, groß.
Krümel setzte die kleinen Pfoten langsam auf den dicken Ast, der vor seinem Heim thronte. Er spürte die Kälte, die sich noch immer im Wald versteckte. Und dann sprang er. Er kletterte von Baum zu Baum. Von Buche zu Eiche. Von Stock zu Stein. Als er an dem kleinen roten Backsteinhäuschen angekommen war, reckte er sein Näschen in die Höhe. Hatte das kleine Mädchen ihn wohl schon entdeckt?
Mit wachen Augen durchkämmte er die durchwachsene Gegend bis er nur noch einmal kurz springen musste, um auf dem von Moos verwucherten Vogelbecken zu landen. Doch er wartete. Hier war es nicht unüblich einer Katze über den Weg zu laufen. Und das wollte Krümel nun wirklich nicht riskieren. Er spürte, wie sein buschiger Schwanz an der rauen Rinde entlangfuhr.
„Mama, schau, Krümel ist wieder da“ rief ein Mädchen, welches soeben aus dem Haus rannte. Ihr Pferdeschwanz wippte, als sie den winzigen Garten durchquerte, die leuchtenden Augen auf Krümel fixiert.
„Sei vorsichtig, Clara, Schatz“ sagte die Mutter, die ihr mit müden Schritten folgte. Das Mädchen kam vor der Kastanie zum Stehen, wobei sie sich fast vor Aufregung überschlug. Krümel begutachtete das Menschenkind neugierig. Über den Winter war es beträchtlich gewachsen, doch es sah ihm immer noch so ähnlich mit dem fuchsroten Haar. Er war stolz auf seine Freundschaft mit Clara. Sie hatte ihm einen Namen gegeben, ein Luxus, den nur wenige Eichhörnchen genossen. Hoch erhobenen Hauptes war er damals zu seiner Familie gekommen und hatte ihnen seinen neuen Namen verkündet. Krümel. Clara hatte gesagt, dass sie ihn nach den Krümeln benannte, die er von den Nüssen und Samen in ihrem Garten hinterließ.
Er reckte den Kopf, unentschlossen dem Mädchen näher zu kommen. Die Augen ihrer Mutter lagen wachsam auf ihm. Manchmal fragte er sich, weshalb die Menschen eine solche Angst vor ihm hatten. Schließlich war er doch deutlich kleiner als sie.
Clara hob ihren Arm und streckte ihm die flache Hand entgegen, auf der leckere Nüsse umherkugelten. Krümel zuckte bei der Bewegung zurück. Er spürte, wie sein Körper ihm zur Flucht anspornen wollte. Doch er besann sich eines Besseren. Er wusste, dass Clara ihm nichts tun würde. Also gab er sich einen Ruck.
Mit flinken Pfoten stieß er sich von der Sicherheit des großen Baumes ab und landete zielgenau vor den Füßen der Menschen. Er bemerkte, wie Claras Mutter einen großen Schritt nach hinten machte und leise quietschte. Krümel ignorierte sie. Seine kleine, große Freundin hatte sich hingekniet und das freudestrahlende Lächeln auf ihrem Gesicht gab ihm mehr als die Angst, die von der Riesin ausging.
„Ich habe dir etwas mitgebracht“ flüsterte Clara mit ihrer hellen Stimme und ließ die Haselnüsse klirrend in eine flache Porzellanschale purzeln. Krümel musste sich beherrschen, die Nüsse nicht direkt in seine Backen zu stopfen und die Ausbeute seiner Familie zu überbringen. Vorsichtig näherte er sich der Schale, schnupperte und stützte seine Krallen knirschend auf den gelb-gemusterten Unterteller. Wie sehr sich seine Familie freuen würde. So viel Nahrung. Nur für sie.
Krümel wusste, dass sie es nicht für guthießen, dass er sich den Menschen so sehr näherte. Oft hatte er sie schon zu überreden versucht mit zu Clara zu kommen, doch er verstand ihre Angst. Viele ihrer Artgenossen waren den Menschen bereits zum Opfer gefallen.
Er hob seinen Blick und musterte die braunen Augen des Mädchens. Sie strahlten voller Freundlichkeit. Clara war immer geduldig. Sie ließ ihm seine Zeit. Manchmal fragte er sich, was ihr Nutzen aus ihren Taten war.
„Iss, kleines Eichhörnchen“ murmelte sie und deutete mit dem Kopf auf die Nüsse. Ihre Hand bahnte sich ganz langsam ihren Weg zu ihm. Sie dachte wahrscheinlich, dass er ihre Bewegung nicht bemerken würde, doch das tat er. „Clara“ mahnte ihre Mutter zwischen zusammengebissenen Zähnen und Clara zog die Hand schnell wieder zurück.
Enttäuscht machte sich Krümel daran die Haselnüsse in seine Backen zu stopfen. Seine Freundin hatte ihm so viele mitgebracht, dass er sie nicht einmal alle tragen konnte. Bevor er sich wieder auf den Weg zurück in den Wald machte, warf er noch einen letzten Blick auf Clara. Wie konnte er ihr nur jemals danken?
Ihm kam ein Gedanke. Am nächsten Tag würde er ihr die aufgeknackten Schalen in den Garten legen.
Mit aufgerichtetem Schwanz drehte er sich um und sprintete den nahegelegensten Baum empor. Er hörte das Lachen des Mädchens und sprang fröhlich einen Zweig entlang. Nur noch wenige Sätze, bis er endlich wieder zuhause war.
Da überkam ihm ein stechender Schmerz, gepaart mit einem lauten Knall. Er merkte, wie ihn ein harter Ruck von seinem Ast stieß. Als er auf den Waldboden prallte, gaben seine Wangen nach und die wertvollen Nüsse kullerten wild über die Erde.
Der Schmerz überrollte ihn und er versuchte panisch nach Luft zu schnappen. Was war nur geschehen? Er spürte, wie sein Fell von einer Flüssigkeit durchtränkt wurde. Hatte es gestern geregnet? Er hörte Schritte, die näherkamen. Waren sie von Clara? Seine Sicht verschwamm und die Schritte blieben vor ihm stehen. Er erkannte gerade noch das Gewehr, welches über der Schulter eines grün gekleideten Mannes baumelte.
Und als die Schwärze Krümels Augen füllte, hörte er den Jäger sagen: „ach, wieder eins von den Viechern.“
Leonie König, Jahrgang 2002, lebt mit ihrem Verlobten im schönen Oldenburg. Hauptberuflich arbeitet sie als Payroll Specialist im Personalmanagement eines großen Unternehmens und studiert berufsbegleitend ihren Bachelor in Personalmanagement.
Während ihr Berufsalltag von Struktur und Zahlen geprägt ist, findet sie im Schreiben ihren kreativen Ausgleich. Sie liebt es, neue Welten zu erschaffen und darin die Fragen und Herausforderungen ihrer Zeit einfließen zu lassen.
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