Monika Schlößer für #kkl59 „Ich denke, also bin ich“
Weihnachtswünsche
„Lieber guter Weihnachtsmann! Ich wünsche mir, dass es an Weihnachten schneit!“ Der alte Mann lächelte wehmütig und rückte seine Brille zurecht, um die ungelenke Kinderhandschrift besser entziffern zu können: „Es darf aber nur nachts schneien“, las er der kleinen Engelschar vor. „Tagsüber sollen die Straßen frei sein, denn da wollen wir die Oma besuchen. Anschließend geht es mit dem Auto noch zum Rodelberg.“
Der Weihnachtsmann legte den sorgsam ausgemalten Brief zur Seite und nahm das nächste Blatt vom Stapel. Auch dieses, mit einem modernen Laser-Drucker fabrizierte Schreiben, machte auf den ersten Blick einen recht ordentlichen Eindruck.
Als der Weihnachtsmann den Brief las, kniff er die Augen zusammen. „Hrrm“, grummelte er in seinen langen weißen Bart hinein, „die Wünsche der Erdenkinder werden von Jahr zu Jahr anspruchsvoller.“ Müde sank er auf seinen Schemel nieder: ,Wo soll ich armer alter Mann auf die Schnelle bloß eine PlayStation herzaubern? Eine PlayStation, inklusive Buzz und Buzzer?‘, grübelte er unverkennbar.
„Weihnachtsmann, weshalb siehst du so traurig aus?“ Das Engelchen mit der Nummer 544 sah erschrocken auf. „Gibt es ein Problem?“, fragte es leise und drückte sein Näschen an einem frisch polierten Stern platt.
„Ein Problem?“, schnaubte der Weißhaarige. „Flieg doch selber mal zur Erde hinab und schau dir diesen Chaoten-Haufen da unten an: Hunger, Krieg, Elend, Naturkatastrophen, korrupte Politiker, Menschen, die diese Bezeichnung überhaupt nicht verdient haben …“
Das Gesicht des alten Mannes lief puterrot an. Zornig hieb er mit seiner Faust auf den Tisch. Mit der anderen Hand zeigte er abwärts: „Dort unten vegetieren Menschen dahin, die es in ihren ausgemergelten Körpern nicht mehr aushalten vor Schmerzen und deshalb sehnsuchtsvoll auf den Tod warten. Und dieser Pfiffikus hier wünscht sich eine PlayStation, blablabla… inklusive Buzz und Buzzer! Was auch immer das sein mag.“
Das Engelchen hopste auf den Schoß des Weihnachtsmannes und sah ihn mit großen Kulleraugen an: „Wenn der Junge sich ein Schaukelpferd gewünscht hätte – würdest du dann auch so furchtbar traurig sein?“
„Ein Holzpferdchen?“ Das Gesicht des Weihnachtsmannes sah jetzt nachdenklich aus. „Mamaschi, schenk‘ mir ein Pferdchen. Ein Pferdchen wär‘ mein Paradies“, sang er leise vor sich hin. „Holzpferde hatten die Buben sich früher einmal gewünscht, als die Soldaten noch hoch zu Ross in den Krieg gezogen sind. Andere wünschten sich nichts sehnlicher als ein paar Zinnsoldaten, mit denen sie vorangegangene Schlachten detailgenau nachspielen konnten. Heute wollen die Kids Computerspiele, bei denen die Gegner einfach abgeknallt werden. Peng! Peng! Weshalb tue ich mir so etwas nur an?“, seufzte er und schaute fragend auf.
„Du bist ein freier Mann“, piepste das Engelchen Nummer 544 zaghaft. „Niemand kann dich zwingen, Dinge zu verschenken, die du selber nicht in Ordnung findest.“
„Ich bin doch nur ein armseliger Handlanger!“, brauste der Bärtige auf. „Die Geschenke, die werden von irgendwelchen Geschäftemachern produziert und weiterverhökert. Dann kommen die Erziehungsberechtigten der Kleinen und legen ihr sauer verdientes Geld auf die Tresen dieser Händler. In der Zwischenzeit haben die Macher ihre Produktpalette längst in die weichen Hirne der Kinder hineinprojiziert, und ich – ich darf den Paketdienst spielen! So läuft das ab, Mädchen!“
Aufgeregt sprang das Engelchen wieder auf seine Füße: „Aber – aber der Wunschzettel, der geht doch an dich?“
„So ist es. Doch die Kopien dieser Wunschzettel, die werden in Windeseile anderweitig verteilt. Wie bereits gesagt – ich bin nur ein Handlanger.“ Die Stimme des Weihnachtsmannes schwoll so bedrohlich an, dass die Menschenkinder befürchten mussten, der Himmel würde ein Gewittergrollen zur Erde schicken.
„Und wenn du dich nicht mehr benutzen lässt?“, fragte das Engelchen sachte an. „Und einfach nur noch Spielzeug, das du in Ordnung findest, in die Häuser trägst?“
„Dann werde ich meinen Job schnell los sein.“ Der Weihnachtsmann lachte verbittert auf. „Stell dir bloß einmal vor, ich machte mich auf den Weg und legte einem kleinen Mädchen eine wunderschöne Puppenstube unter den festlich geschmückten Weihnachtsbaum. Jetzt schon kann ich die Emanzen aufkreischen hören: das arme Kind wird in seiner geistigen Entwicklung behindert und in ein soziales Korsett gezwängt!“
„Okay, dann schenkst du eben einem Jungen eine Puppe“, schlug das Engelchen vor. „Als Ausgleich – sozusagen.“
Sein Gegenüber schüttelte nur den Kopf: „Der alte Narr will wohl Warmduscher züchten, werde ich mir dann anhören müssen!“
Engelchen Nummer 544 kicherte belustigt: „Und wenn du endlich den lang ersehnten Hund ins Haus bringst, dann schlagen garantiert die Tierschützer Alarm.“
„Nicht nur die, Engelchen. Glaub‘ es mir! Nicht nur sie.“
„Und was würdest du selbst den Menschen zum Fest der Liebe gerne schenken?“
Der alte Mann brauchte nicht lange nachzudenken: „Sauberes Wasser, ausreichende Nahrung, ein Dach über dem Kopf.“ Er erhob sich schwerfällig und nickte mit dem Kopf: „Und Frieden. Ich möchte allen Menschen dieser Welt den Frieden schenken.“ Abrupt drehte er sich um. Die golden funkelnde Mondsichel nahm er nur schemenhaft wahr.
Monika Schlößer
Geboren 1949, lebt mit ihrem Mann in Bad Münstereifel, 2 Töchter und Enkel. Im Laufe der Zeit über 100 Veröffentlichungen von Lyrik, Kurzkrimis, Kurzprosa und Märchen in Anthologien, Kunst-Kalendern (éditions trèves), Jahrbüchern, (Literatur)-Zeitschriften, Schaufenstern, auf einer Lyriksäule und bei online-Magazinen wie kunstkulturliteratur.com
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