Der Sound

Felix Röhlke für #kkl39 „Hinter der Zeit“




Hinter der Zeit

Der Sound, dieses, sich immer wiederholende, dumpfe Tuten erklang so laut wie Glockenschlag.
Er schrillte in meinen Ohren, selbst als die Ampel wieder auf rot geschaltet hatte.
Regungslos stand ich einfach nur da. Leute liefen an mir vorbei, irgendwas wurde gerufen.
Mein Kopf war unter Wasser, ich aber nicht.
Was war passiert? Vor einem Augenblick war die Welt doch noch in Ordnung.
Und jetzt?
Jetzt lag da dieser junge Mensch zwischen zwei Ampeln, mitten auf der Fahrbahn und wenige Meter hinter ihm stand ein weißer LKW.
Ich starrte auf das gegenüberliegende Licht: Rot. Grün. Rot. Grün. Tod. Leben. Tod. Leben.
Das musste irgendwann passieren. Ja, es hatte sich eigentlich schon angekündigt. Jeden
Morgen ist dieser kleine Mensch kopflos über diese rote Ampel gehastet. Jeden Morgen kam er zu spät. War auf dem Weg zur Schule, dem Rucksack nach zu urteilen.
Jeden Morgen um 5 vor 8. Und jetzt das.
Da fiel mir etwas auf den Kopf, etwas nasses. Erst war es eins, dann zwei und dann abertausende.
Ich löste meinen Blick von der Ampel und schaute mit zusammengekniffenen Augen in den Himmel.
Ja, in Filmen würde es jetzt auch beginnen zu regnen. Das unterstreicht die Dramatik und verdeutlicht die Trauer der Anwesenden.
Mein Blick wanderte langsam wieder zu der Szene zwischen den Ampeln und mit Erstauen stellte ich fest, dass es scheinbar nur über mir regnete. Die Menschen auf der Straße und um mich herum waren völlig trocken.
Wie ein durchsichtiger Theatervorhang fiel der Regen vor mir.
Die Traube, welche sich um den kleinen Menschen gebildet hatte, war durch die Masse an Tropfen nur noch verschwommen zu erkennen.
Ich trat einen Schritt vor und mein Körper sackte vom Bordstein. So durchbrach ich den
Regenvorhang und fand mich auf der trockenen Straße wieder.
Ich wollte mich durch die Traube drängen und schauen, ob ich dem kleinen Menschen helfen kann, doch da war keine Traube.
Da waren weder Menschen, noch ein weißer LKW.
Ich ging in die Mitte der Straße, gerade an die Position, wo eben noch der kleine Mensch in seinem Blut gelegen hatte, ganz verrenkt und zum Teil nur noch Matsch.
Da war nichts. Kein Mensch, kein Matsch.
Ich drehte mich um und blickte zu der Ampel, von welcher ich gekommen war und da sah ich hinter dem Regen die Silhouette des kleinen Menschen und über ihm schimmerte ein rotes Licht durch die Tropfendecke.
Der Sound, dieses tiefe lange Tuten erklang und als ich meinen Kopf wand, sah ich zwei gelbe Lichter und mein letzter Gedanke war:
Hinter die Zeit, ans Ende der Welt, bis kein Regen mehr fällt.




Felix Röhlke







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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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