Blumenmädchen

Rosalie Weichenberger für #kkl14 „Es ist schon alles da“




Blumenmädchen

Der Wind trägt Melodien durch den Garten. Trifft die steinerne Mauer, die eine Welt einzufangen versucht, schubst das gusseiserne Gartentor an und lässt es seufzen, streicht behutsam über gelbe, rote , blaue Blütenblätter, küsst das Gras, stiehlt hier und da ein Blütenblatt und singt schließlich ein Lied im Ohr des Mädchens, das dem Wind schon immer gerne zugehört hat, wie er seine Geschichten flüstert. Noch kann sie nicht sagen was der Wind zu erzählen versucht, aber sie ist sich sicher, dass sie ihn bald verstehen wird, also lächelt sie, erwartet die Geschichten die sie zu hören lernen wird. Braune Flecken schmücken ihr Kleid vom Knien im Gras, aber sie sieht nur die Blumen vor sich. Sie legt den Kopf schief. Die Blüte die ihr entgegenlächelt, hat gestern noch nicht geblüht. Doch heute tut sie es. Das Mädchen fragt sich, was es wohl gewesen sein muss, was die Blume zum Aufwachen bewegt hatte.

Die Geschichte des Windes und das Erwachen der Blütenblätter wird unterbrochen von einer geöffneten  Tür, die eine Gestalt freigibt, die dem Mädchen , das in der Wiese kniet nur zu ähnlich sieht. Die Haare vom gleichen Braun, die Augen umspielt von denselben Blautönen. Nur ihr Gesicht an sich wirkt härter, angespannter, strenger, in gewisser Weise.

„Komm jetzt Aline, ansonsten bist du selbst schuld wenn dein Essen kalt wird.“ Damit wird die Tür geschlossen. Der Klang von Holz auf Holz ein wenig zu Laut, die Schritte hinter der Tür zu dumpf um einer Realität zu entsprechen, die Aline für die ihre erklärt hat. Somit wird der Klang in ihren Ohren leiser und die Schritte leichter. So wendet sie sich von den Blumen ab, nicht ohne ihnen das Versprechen zu geben zurückzukommen, und läuft auf die Tür zu, um die Eltern nicht noch länger warten zu lassen. Die Mutter wird böse sein, dass sie das schöne Gelb des Kleides mit Braun bedeckt hatte und sie wird Aline mit harschen Worten rügen. Aber Aline wird es nicht kümmern, weil es sie noch nie gekümmert hat, die Worte in ihren Ohren durch Watte gedämpft und zu liebevollen, fürsorglichen Worten verkrümmt und verkommen. Sie müssen so sein im kleinen Kopf des kleinen Mädchens, denn für sie ist alles da. Alles hier. Alles frei. Es kann kein Hass sein wenn es nichts zu hassen gibt und somit ist es Liebe, muss es Liebe sein.

Also betritt sie das Haus und sowie sie die Tür schließt flüstert der Wind sein Auf Wiedersehen. Die Dielen unter ihren Schritten seufzen, links und rechts nichtssagende Kunstwerke an die Wände gehängt. Keine Fenster füllen den Gang mit Licht und Aline macht sich nicht die Mühe das Licht einzuschalten, weil sie das kalte Licht der Glühbirnen als falsch und verräterisch empfindet. Der Raum kalt, der Boden lässt sich nicht mit dem Gras unter den nackten Füßen vergleichen.

Im Esszimmer ist es still, wie immer wenn sie eintritt. Ihr Vater blickt starr die traurige Rose auf dem Esstisch an und ihre Mutter tippt unruhig auf dem dunklen Holz ein Lied. Dieses Lied hört Aline oft, aber als die Augen ihrer Mutter sie erblicken hört sie auf das Lied zu spielen. Die Finger werden zur Faust, mit Anspannung getränkt. Sie setzt sich auf ihren Stuhl. Das Essen wird begonnen, ohne das die Mühe einer Konversation aufkeimen würde und so lauscht Aline dem Kratzen von Gabeln auf Tellern. In ihren Augen die zusammengepressten Lippen der Mutter zu einem Lächeln verzerrt, der starre Blick des Vaters zu einem liebevollen verwelkt.

Die Gabel der Mutter landet mit einem Knall auf dem Tisch.„ Du solltest endlich aufhören nur im Garten zu sitzen. Du bist nicht mehr in einem Alter, in dem du tun und lassen kannst was möchtest Aline.“ Die Schärfe in ihrer Stimme klingt für Aline leicht und freundlich.

Aline wartet. Lauscht. „Ich bin einfach gerne bei den Blumen, sie vereinsamen sehr schnell.“, sie lächelt, sie sieht an ihrer Mutter vorbei, mustert eines der Gemälde an der Wand, die nichtssagend und traurig als Schatten einer Landschaft herabsehen.

Der Griff der Mutter wird fester um das kalte Metall der Gabel. Weiß tritt hervor aus ihren Fingerknöcheln.„ Du dummes Kind, deine Zeit des Träumens hätte sich auswachsen sollen. Hör auf Dingen hinterher zu laufen die es nicht gibt.“ Worte werden zu Nebel und ein Lächeln besteht, hört Worte die nicht ihre sind. Aline kichert nur. Denn wenn es kein Hass sein kann, dann muss es Liebe sein.

Ihre Mutter steht auf, schnaubt verärgert und ist im Begriff zu wenden und zu gehen, als die Stimme des Vaters sich erhebt, ohne den Blick von den Blütenblättern zu heben. „Setz dich.“

Die Mutter dreht sich zu ihm , ihre Haare fliegen wie in einem Tanz um ihr Gesicht.  Mit ihrer Hand deutet sie auf ihre Tochter. „Siehst du nicht , was wir hier großgezogen haben? Sie ist vollkommen verblödet! Aus ihr wird niemals etwas werden! Tagtäglich tut sie nichts anderes als Blumen blöd anzugrinsen und sich ihren kranken Halluzinationen hinzugeben! Bist du denn so blind?“   

Laute Worte werden in kleinen Ohren leiser.

„Setz dich!“ Sagt  der Vater erneut, beachtet die Worte nicht und die Mutter folgt der Aufforderung widerstrebend. An diesem Tag wurde kein zweites Mal ein Wort am Esstisch gebraucht.

Der Abend kommt näher und Aline kehrt ein in ihr Zimmer. Sie hört die Stimme ihrer Mutter in einem Zimmer weit entfernt von dem ihren und nur manchmal ein gedämpftes Murmeln ihres Vaters. Sie hört zu und hört Worte des Zorns. Sie versteht nicht. Sie versteht nicht, was ihre Mutter zornig macht, wenn doch alles da ist. Wenn doch alles perfekt ist. Also werden die Worte zu Worten der Liebe. Was nicht da ist muss nur richtig werden.

Ein Tag der sich widerholt, eine Stunde die einer anderen gleicht, ein Atemzug wie der zuvor. Sie sieht den Schatten eines Baumes an der Wand, erfreute sich seiner Gesellschaft, lauschte wie der Wind die Blätter des Baumes besuchte um ihnen Gesellschaft zu leisten, so wie er ihr Gesellschaft leistet, wenn sie draußen der Welt lauscht. Sie träumt. Sie träumt von den Blumen und dem Wind, der ihr Geschichten erzählt, die sie noch nicht versteht. Doch für ihre Träume muss der Schlaf sie nicht einholen.

Der nächste Tag folgt und auch an diesem Tag verlässt sie das Haus in den frühen Morgenstunden. Sie hatte ihre Schuhe nicht angezogen, genoss die Grashalme an ihren Füßen. Ihre Eltern sind noch nicht erwacht und somit ist ihre kleine Welt des Gartens noch ganz ihre. Der Baum an der Gartenmauer hält ihre Schaukel fest, lädt sie ein, sich in seinen Schatten zu begeben, doch der Wind ist schon bei ihr und lädt sie zum Tanz und sie tanzt mit ihm. Drehungen leiten sie durch den Garten, Vogelzwitschern ihr Orchester und ihr rotes Kleid macht sie den Blumen so ähnlich, die sie ihre Freunde nennt. Das ist alles was da sein muss. Alles was da ist. Mehr braucht sie nicht. Hat sie nie gebraucht. Sie tanzt mit dem Wind und sie ist glücklich.

Und dann fällt sie, rutscht, stößt auf das Gartentor und muss ihren Tanz aufgeben, wenn auch nur für den Moment. Das Gartentor schwingt auf und sie liegt auf dem Boden. So sieht sie den Himmel. Sie ist außerhalb des Gartens, etwas, was noch nie zuvor so gewesen war, noch nie zuvor ohne ihre Mutter an der Hand zur Möglichkeit geworden war. Und dort liegt sie. Der Blick wandert weiter zum Boden und sie sieht den Wald außerhalb des Gartens, eine Welt die sie nicht kennt. Die Welt steht auf dem Kopf und dennoch ist sie wunderschön, wie der Himmel zu ihren Füßen liegt und die Grashalme sich in ihre Haare flechten. Und sie fragt sich, was ihre Eltern in diesem Haus zu suchen haben, wenn doch alles da war. Genau dort. Dort draußen. Sie setzt sich auf, kommt auf die Beine und lässt sich vom Wind aus dem Garten entführen.

Und als sie eintritt, in die halbe Welt die ihre ganze ist, erfüllt von Schatten, träumt sie von Träumen die an diesem Ort keine sein sollten. Ihr Orchester aus Vogelstimmen wird ergänzt von tiefem und hellem, von melodischem und abgehacktem Zwitschern. Instrumente, die sie nie kennengelernt hat, schließen sich den Geschichten des Windes an und ziehen sie tiefer zwischen die Bäume und das Flüstern und Säuseln der Blätter und zu der Musik der Waldes, die mit jedem Schritt einnehmender, voller, noch viel mehr zu ihrem Traum wird der keiner sein soll und sie fragt sich, was sie in einem Haus soll, in einem Garten verschlossen von einer steinernen Mauer, wenn doch alles hier ist, genau hier. Sie bemerkt nicht wie die Sonne zuerst an ihrem Zenit die Arme ausbreitet, wie sie hinabsinkt in die Welt der Träume und Aline bleibt weiterhin in dem ihren. Die Rufe ihres Namens zu weit weg um sie zu hören, zu früh schon verklungen um sie aus ihrem Traum zu reißen.

Doch als sie bemerkt, wie die Dunkelheit sie in eine kalte Umarmung zieht, liegt sie im Gras und beobachtet die Sterne, und sie bleibt und lächelt. Denn sie hat alles gefunden wonach sie nie suchte.




Rosalie Weichenberger





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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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