Der Bruch

René Oberholzer für #kkl21 „Stigma“




Der Bruch

Ein Beben der Stärke 6
Hat Teile der Altstadt zerstört
 
Einst aufrechte Menschen
Liegen neben Schutt und Trauer
 
Eine alte Frau mit Platzwunde
Sucht nach Erinnerungen
 
Sie findet das Foto ihres Sohnes
Kurz vor dem Coming-out
 
Ein Pater redet am Radio
Bereits von der Strafe Gottes
 
Er appelliert an das Gewissen
Das Naturrecht zu akzeptieren
 
Das Holzkreuz der alten Frau
Ist für immer zerbrochen




Die von Gurs

Ich bin so cool
Hinter mir schneit es

Ist in weissen Buchstaben zu lesen
Auf einem T-Shirt in einem Schaufenster

Später im fast verwaisten Museum
Eine Ausstellung über das Lager Gurs

Menschen erlitten Geschichte
Und malten gegen den Terror an

Die jetzigen Flüchtlinge vor Ort
Gingen mit Flip-Flops umher

Sagt die alte Frau an der Kasse
Und die Kirche schweige wie damals

Draussen schneit es
Kälte macht sich breit




Sprachdefekt

Sein Herz weint
Es verliert an Gewicht
Und es schrumpft
Bald ist es tränenleer

Nur dieser eine Satz
Aus einer Laune heraus
Nur dieser eine Satz
Da halfen keine Blumen

Sein Herz weint
Und es braucht Jahre
Bis es wieder wächst
Und sich wieder füllt

Nur dieser eine Satz
Aus einer Laune heraus
Nur diese eine Sprache
Die nichts mehr taugte




Tröstende Worte

Mutter
Ich wollte kein Soldat mehr sein
Ich wollte nicht sterben

Mutter
Er hat uns alle belogen
Er hat uns zu Krüppeln gemacht

Mutter
Ich habe mir ins Bein geschossen
Ich wollte raus aus der Hölle

Mutter
Ich liege im Krankenhaus
Ich werde ein Bein verlieren

Mutter
Du musst nicht traurig sein
Ich lebe noch




René Oberholzer

Lebt und arbeitet seit 1987 als Oberstufenlehrer, Autor und Performer in Wil/Schweiz.

Schreibt seit 1986 Lyrik, seit 1991 auch Prosa.

War Mitbegründer der literarischen Experimentiergruppe „Die Wortpumpe“ (mit Aglaja Veteranyi), ist Mitbegründer der „Autorengruppe Ohrenhöhe“, Mitglied der Autoren der Schweiz (AdS) und des Zürcher Schriftstellerverbands (ZSV). Erhielt 2001 den Anerkennungspreis der Stadt Wil für sein literarisches Schaffen und 2022 den 23. Nahbellpreis des G&GN-Instituts in Düsseldorf für das lyrische Gesamtwerk.

Publikationen:

„Wenn sein Herz nicht mehr geht, dann repariert man es und gibt es den Kühen weiter“ (39 schwarze Geschichten) (2000), Verlag Im Waldgut in Frauenfeld.

„Ich drehe den Hals um – Genickstarre“ (92 Gedichte) (2002), Nimrod-Literaturverlag in Zürich.

„Die Liebe wurde an einem Dienstag erfunden“ (120 Geschichten) (2006), Nimrod-Literaturverlag in Zürich.

Kein Grund zur Beunruhigung“ (236 Gedichte) (2015), Driesch Verlag in Drösing.

„Sehnsucht. Mit Weitblick“ (80 Gedichte) (2020), Klaus Isele Editor in Eggingen

„Das letzte Stück vom Himmel“ (80 Gedichte) (2021), Klaus Isele Editor in Eggingen

Gedichte und Kurzgeschichten in Anthologien, Zeitungen, Literaturzeitschriften und Online-Portalen im gesamten deutschsprachigen Raum (über 3000 Einzeltexte). Einzelne Texte sind auch ausserhalb des deutschsprachigen Raums übersetzt und veröffentlicht worden.

homepage: http://www.reneoberholzer.ch

wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Ren%C3%A9_Oberholzer

Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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