Der Sommer voller Gegenstände

Elisabeth G. für #kkl34 „Klarheit“




Der Sommer voller Gegenstände

Meine Zehen spielen mit dem weichen Sand unter meinen Füßen, dem Rauschen des Meeres lauschend, die unzähligen Sommersprossen auf meinen Armen betrachtend. Ich drehe mich um und sehe, dass deine Position in der Hängematte zwischen den zwei Palmen noch immer unverändert ist. Deine noch leicht nassen Haaren fangen an Locken zu bilden und eines deiner Beine baumelt seitlich aus der Hängematte. Als würdest du merken, dass jemand dich beobachtet, blinzelst du leicht, noch schlaftrunken, deine Augen wach. Ich merke an deinem Blick, dass du dich kurz orientieren musst. Wir sind noch nicht lange hier, ein erstes Aufwachen an einem fremden Ort.

Ich zähle seit einiger Zeit nicht mehr die Tage wie lange wir so schon unterwegs sind. Wir zwei. Leichtfüßig erhebe ich mich und gehe über den warmen Sand zu dir. Ich setze mich auf die rechte Seite der Hängematte, wartend, dass du zur Seite rückst. Du verstehst den unterschwelligen Wink, zusammen liegen wir nun hier. Ich drehe mich ein wenig mittig, suche deinen Blick. Auch du hast von der Sonne Sommersprossen bekommen, auf der Wange, ganz Kleine. Ohne Worte sehen wir uns einfach nur an. Mir kommt der schnelle Gedanke, dass ich manchmal die Zeit anhalten möchte. In so einem Moment wie diesem zum Beispiel. Doch wir halten nicht an, wir ziehen weiter. Zu sehr im Rausch, nie lange verweilend an einem Ort. Zu surreal, zu schnelllebig erscheint es mir gerade. Das Bellen der Hunde am Strand von Varkala reißt mich aus meinen Gedanken. Der Faden reißt ab, nur das Hier und Jetzt zählt. Spontan ziehe ich dich hoch, raus aus der Hängematte. Wir laufen nebeneinander her in Richtung Meer. Ich schnappe mir deine Hand, das Leben fühlt sich so leicht an. Gemeinsam stürzen wir uns in die Wellen, als ob es kein Morgen gäbe.

Nach einer langen Busfahrt, nach vielen Stunden, neben uns am Sitz ein Wasserball, erreichen wir das Hostel direkt am Strand. So machen wir das nun überall. Wir nehmen an einem Ort einen Gegenstand mit, um ihn an einem anderen Ort gegen einen Neuen zu tauschen. Meine Lippen verziehen sich zu einem kleinen Lächeln, denkend an die weiße Muschelkette, die nun einen neuen Platz gefunden hat, dort in Varkala. Stattdessen, ein Wasserball mit wenig Luft in seiner glatten Plastikhaut und mit weißem Logo „Watko“ hier bei uns.

Wir sind müde von der Busfahrt und doch gleichzeitig so wach vom Leben. So Energie durchflutet. Wir trinken das kalte Bier auf den Stufen vor dem Eingang. Es ist nun schon spät, dunkel. Wir betrachten die wenigen Sterne am Himmel und den Mond der nicht voll ist. Ich frage dich, ob du weißt wie das hier so weitergeht, das mit uns. Du weißt es auch nicht. Stumm betrachte ich dein Gesicht im Halbschatten. Bist du etwas, das bleibt?

Am nächsten Morgen wache ich zuerst auf. Ich schnappe mir mein Tagebuch, ziehe mir schnell etwas über, schleiche auf Zehenspitzen aus dem Zimmer. Die Dachterrasse ist um diese Zeit noch menschenleer. Ich atme tief durch, strecke kurz mein Gesicht in Richtung Himmel. Das Leben ist schön. Ich schlage mein Tagebuch auf und notiere: „Mit dir, da ist mein Leben wie eine Achterbahn“. Gleich danach spüre ich sanft deine warmen Hände auf meinen Schultern.

Einen Capucchino, eine Bananenmilch und zwei Schokoladepfannkuchen später steigen wir auf einen gemieteten Roller und fahren die Küste entlang. Wie so viele vor uns suchen auch wir den perfekten, einsamen Strand, um uns in die Sonne zu legen und neue Sommersprossen zu sammeln.

Durch die salzige Luft fühlen sich meine Haare strohig an. Gedankenversunken spiele ich mit einer Haarsträhne. Hätten wir beide unser gewohntes Umfeld zu Hause nicht verlassen, so würden wir hier nicht zusammen sein. Nicht zusammen lachen, nicht zusammen träumen und nicht zusammen einschlafen. Uns einen diese Momente, dieses Wegstück das wir zusammen gehen. Du schnappst dir nun auch eine meiner Haarsträhnen und blickst mich nachdenklich an. Zu verliebt um zu gehen, doch wissend, dass wir zu unterschiedlich sind um in der realen Welt zu bestehen. Mich macht genau dieser Gedanke immer wieder traurig. Ich verdränge ihn schnell, fliehe zurück in die weiche, warme Welt hier, in diesen ewigen Sommer voller gelebter Träume.

Im Hostel auf der Dachterrasse, in der hinteren Ecke, steht die Box der vergessenen Gegenstände. Der Inhalt, so vielfältig wie die Reisenden die hier waren. Wir nähern uns mit „Watko“ in der Hand. Die Trennung fällt uns schwer. Der Ball bleibt hier und wir sind um ein Buch reicher. „Der Alchimist“ von Paulo Coelho soll uns in den nächsten Tagen neue Weisheiten schenken.

Wie viel Zeit ist schon vergangen? Ich krieche aus der warmen Bettdecke, umarme mich selber, schenke mir Wärme. Es ist kalt hier in Wien im Dezember. Die Kaffeebohnen mahlend, schweift mein Blick umher. Hier ist die Tasse. Die Aufschrift „Goa“ und ein paar Palmen sind darauf. Ein unscheinbares Souvenir, so billig und doch so teuer für mich. Das hier war der letzte Gegenstand. Ein unendlich langer Sommer. Ich höre Schritte im Flur. Das könntest du sein. Bist du es?





Elisabeth G.., geboren 1992 in Feldbach.
Gewohnt in Madrid, Bangalore und Wien.
Abschluss als Diplomingenieurin im Maschinenbau (TU Wien, 2019).
Schreibt in Wien.







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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Potentialentfaltung und Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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