Stille

Sofia Bunnell für #kkl44 „Kosmos“




Stille

L: Hey zusammen und Willkommen bei KeeyOne! Der einzige Radiosender, der dauerhaft ohne Unterbrechung gute abgefahrene Musik laufen lässt und zwischendurch, mit dem ein oder anderen einen netten Plausch hält. Ihr wisst, wie es läuft: Die Nacht beginnt und wir fangen an uns Fragen zu stellen oder vielleicht bin auch nur ich so. Ist da draußen jemand, der Antworten hat? Ok ok, vielleicht erst einmal zu meiner Frage: Was ist der Kosmos? Die Nacht ist kalt und kurz, also ruft an und bringt sie zum Glühen! Bis einer von euch bereit ist, hören wir mal rein in die abgespaceteste Playlist von Kanada! Mein Name ist Loui, ich bin ihr Moderator für heute Nacht und bin auf ihre Antworten gespannt!

Musik spielt.

L: Und hier sind wir wieder! Ich hoffe euch hat die Playlist wach gehalten, denn nun kommen wir zum netten Plausch und einer abgespacetesten Antwort. Ich habe hier jemanden in der Leitung der behauptet die Antwort zu kennen. Also mein Lieber, wie heißen Sie?

Anrufer wird dazu geschaltet.

F: Frank.

L: Ok Frank. Also, was ist der Kosmos? F: Ich weiß es nicht.

L: Aber Frank, wir sind doch hier für Antworten.

F: Ich weiß Loui, aber die meisten Zuhörer wissen doch bestimmt, dass die wissenschaftliche Antwort relativ simpel ist.

L: Hört sich ganz so an, als würden Sie sie nicht kennen.

F: Die wissenschaftliche kenne ich. Der Kosmos ist die Grenze von Raum und Zeit, Materie und Energie. Er ist kein bleibender Zustand, denn wir gehen von einer Ausdehnung aus. Aber Loui, jetzt wo wir dieses ‚Rätsel‘ gelöst haben, verraten sie uns doch, was ihr Kosmos ist.

L: Mein Kosmos? Also die Grenze von meinem Körper und meiner Zeit? Aber Frank, ich stelle doch hier die Fragen. So funktioniert die Sendung von KeeyOne.

F: Es war Ihre Frage.

L: Und es geht um Ihre Antwort Frank.

F: Und ich kann sie noch immer nicht beantworten. Schauen Sie Loui, jeder hat seinen eigenen Kosmos. Es geht hierbei nicht nur um den eigenen Körper, die Lebenszeit und auch nicht um die eigene Energie. Es ist soviel mehr. Es geht um die eigenen Vorstellungen, Wünsche, um Träume,

sogar um die Erziehung, also auch eine kulturelle Frage. Ich weiß nicht einmal ganz genau wie es in meinem Kosmos aussieht, woher soll ich wissen, wie Ihrer aussieht?

L: Sie wollen wohl mit mir Philosophieren Frank?

F: Wieso nicht Loui. Die Nacht hat doch gerade erst begonnen. L: Und Sie werden nicht müde Frank?

F: Ganz bestimmt nicht Loui. Ich bin Schichtarbeiter und genau jetzt wäre meine Arbeitszeit, aber ich habe Urlaub und bin hellwach.

L: Unverheiratet?

F: Unverheiratet. Ich werde Ihnen ein Bild meines Kosmos malen, wenn sie mir auch eines von ihrem malen. So kommen wir vielleicht weiter. Einverstanden?

L: Ich lasse mich darauf ein und ich denke auch unsere Zuhörer werden gerade auch neugierig.

F: Ich sitze hier in meiner Einzimmerwohnung an meinem Küchentisch, auf welchem das Radio steht. Die Stehlampe gegenüber leuchtet den Raum gelblich aus. Daneben ist mein Bett, gegenüber ein Kleiderschrank und hinter mir die Küchenzeile. Auf der anderen Seite geht es zum Badezimmer. Relativ klein, aber mehr benötige ich nicht. Und gegenüber davon ist der Eingang. Ich habe ein paar wenige Bücher auf meiner Fensterbank stehen und das war es auch schon.

L: Das tut mir leid zu hören Frank.

F: Aber wieso denn? Schauen Sie Loui, ich komme jeden Morgen Nachhause, schlafe bis um die Mittagszeit, ich gehe einkaufen, koche etwas, lese ein wenig, mache vielleicht etwas Sport und gehe Nachts zur Arbeit. Am Wochenende gehe ich aus. Mir geht es damit doch gut.

L: Für mich hört sich das einsam an.

F: Oh nein, dass bin ich nicht. Ich treffe durchaus Freunde und habe hin und wieder Dates, aber ich bin auch gerne alleine. Ich entscheide mich ja schließlich für diese Ruhe. Alleine sein, ist keine Einsamkeit Loui.

L: Niemand ist gerne alleine.

F: Ich schon. Wenn ich immer nur anderen zuhöre, vergesse ich mir zuzuhören. Wissen Sie Loui, ich bin mir fast sicher, dass Sie in einer dieser typischen Reihenhäuser wohnen mit ihrer Frau und eurem ersten Kind. Sie sind bestimmt ein junger Vater, laden die Nachbarn zum Abendessen oder sogar zum Grillen ein, treffen sich regelmäßig mit ihren Freunden aus der Jugend und trotzdem haben sie denn Drang hier von Nacht zu Nacht hier zu sprechen. Wieso ist das wohl so? Ich meine, ihr Leben wirkt ja so viel erfüllter als meines, da es voller ist.

L: Glückwunsch Frank, sie haben alle Infos, die man so über mich finden kann, gefunden. Aber Frank, dass kann wirklich jeder nachlesen.

F: Das musste ich gar nicht Loui.

L: Wie dem auch sei, sie haben recht. Wissen Sie, es war schon immer mein Traum bei einem Radiosender zu arbeiten. Ich liebte es schon früher in meiner Schulzeit Geschichten zu erzählen, Vorträge zu halten und einfach die Menschen in meiner Umgebung zu unterhalten.

F: Das hört sich schön an. Ich frage mich nur, wieso Sie so schlecht mit Stille klarkommen. Sie haben doch bestimmt auch Zuhause immer einen Trubel.

L: Es ist nicht so, dass ich stille nicht ertrage, sondern einfach, dass ich das Miteinander sehr genieße. Ich mag es Menschen in meiner Nähe zu haben, die miteinander agieren.

F: Ich bitte Sie, doch nicht dauerhaft. Ich würde an Ihrer Stelle Kieferschmerzen bekommen. L: Alles eine Frage der Übung Frank. Ich bin wohl dazu gemacht.

F: Wissen Sie was ich glaube Loui? Ich bin mir sehr sicher, dass wer immer am reden, immer in Bewegung bleiben und rennen muss, schnell mal ins wanken kommt. Ihnen wurde bestimmt früher zu wenig zugehört. Vielleicht sind Sie sogar ein Scheidungskind?

L: Meine Eltern waren nicht perfekt, aber Sie waren immer da als ich sie brauchte. F: Und trotzdem hat es nicht gereicht. Trotzdem wollten Sie mehr, nicht wahr?

L: Ich glaube nicht dass, das damit zusammenhängt und wieso sollte ich mir darüber auch Gedanken machen? Mein Leben ist genau so, wie ich es mir immer wünschte.

F: Bestimmt. Ich denke nur einfach, dass jeder der so wenig mit sich alleine auskommt, nicht glücklich sein kann. Ich hätte Sorge vor dem Erwachen und das Erkennen einer tiefen Leere. L: Ok Frank, dann kommen wir doch auf Sie zu sprechen. Sind Sie glücklich?

F: Manchmal. Meistens bin ich zufrieden. L: Das hört sich aber nicht sehr positiv an.

F: Wieso? Dauerhaftes Glück wäre doch absurd! Ich nehme keine Drogen Loui. Mir geht es eben manchmal gut und manchmal schlecht und meistens bin ich einfach zufrieden.

L: Das hört sich an, als ob Sie sich mit Ihrer Situation abgefunden haben.

F: Manchmal fühlt es sich an, als ob ich nur existieren würde. So ganz ohne den Rausch des Lebens. Aber ich glaube, den braucht man auch nicht immer. Ist das ein abfinden.

L: Es hört sich so an.

F: Aber braucht es das nicht, um ein System und auch das eigene Leben in Bahnen zu bringen?

L: Das kann sein. Wissen Sie Frank, es ist jetzt zwei Uhr Morgens und zehn Jahre her, aber als ich mit der Uni begann, hatte ich Angst vor der Meinung der anderen, wenn ich auf meinem Zimmer blieb. Ich war auf jeder Party, nur um den Leuten zu beweisen, ich bin da und ich existiere. Also ein

Bündel an Leben und Existenz. Wenn ich so daran zurückdenke, hat sich wenig geändert und vielleicht ist das ja meine Bahn.

F: Wenn Sie nur Prozesse ausführten ohne ein Lebensgefühl, dann bestimmt. L: Mal so, mal so.

F: Verstehe.

L: Meine Frau macht oft Witze darüber, dass ich so oft abrupt einschlafen. F: Vielleicht fehlt Ihnen die Stille mehr als Sie glauben.

L: Das kann schon sein.

F: Sie sind erschöpft vom vielen lachen. L: Und Sie bestimmt vom vielen zuhören.

F: Ach, ich denke man gewöhnt sich daran. Es ist anfangs bestimmt unangenehm und ungewöhnlich, aber das Gefühl vergeht schnell. Innerhalb von wenigen Tagen ist es komplett normal und man merkt, wie man auf einmal Ausgeglichener ist.

L: Würden Sie sagen, Ihr Kosmos ist Stille?

F: Auch. Irgendwie ist er ja auch mein Raum, mein Körper, meine Bahn, meine Wahrnehmung und Gedichte, dieses Gespräch gerade. Es gehört alles in meiner Reichweite dazu. Alles was mein Körper und meine Gedanken erfassen können. Meine eigenen Grenzen, die ich überschreiten kann, sie neu setzten kann oder auch nur erkennen und ignorieren kann.

L: Also hat jeder die gleiche Definition von eigenem Kosmos, nur inhaltlich ist er bei jedem unterschiedlich. Wenn man sich die wissenschaftliche Erklärung noch einmal davon anschaut, die Zeit und Materie von einfach allem, ist diese und die philosophische Erläuterung eine schöne Verbindung. Sie macht uns so einmalig.

F: Egal in welchem Raum wir stehen. Ob in einem Reihenhaus oder in einer Einzimmerwohnung. L: Ich hoffe Sie nehmen mir das nicht übel? Ich dachte wohl zu Oberflächlich.

F: Aber nein. Wissen Sie, ich hatte anfangs auch einen anderen Plan, aber er passte nicht zu mir. Ich mag mein Leben so viel lieber und entschied mich auch dafür. Ich lebte vor einem Jahr mit einer Frau zusammen, Sally, doch es war nicht meins. Ich war einfach nicht der Typ von Mensch, der so eine Lebensgemeinschaft wollte.

L: Wieso nicht? Ist Liebe nicht das schönste Gefühl?

F: Bestimmt, nur liebte ich sie nicht. Ich liebte im Allgemeinen noch nie. Vielleicht kommt es noch, vielleicht bin ich auch einfach nicht der Typ dafür.

L: Wer weiß das schon.

F: Ja. Wer weiß das schon? Aber ich mochte sie sehr. Wir funktionierten eigentlich gemeinsam sehr gut. Alles hatte eine Gleichmäßigkeit und eine stille Übereinkunft. Wir funktionierten wie eine gut geölte Maschine und ich war ihr sehr wichtig.

L: Und trotzdem haben Sie sie verlassen.

F: Ja, vielleicht gerade deswegen. Ich denke, wenn ich jemand in meinem Leben brauche, dann jemand für die lauteren Stunden meines Alltags. Gemeinsame Stille braucht es auch, aber zu viel davon würde mich wahrscheinlich irgendwann um den Verstand bringen. Sally war da, aber sie hätte genauso gut wegbleiben können. Wissen Sie, es machte einfach keinen Unterschied und ich sah keinen Sinn mehr in dieser nicht vorhandenen Verbindung.

L: Verstehe.

F: Sind Sie wirklich glücklich?

L: Vor ein paar Stunden hätte ich ohne zu zögern ja gesagt. Jetzt möchte ich erst einmal Stille erleben, um Klarheit zu bekommen. Ich glaube, dass fehlt mir tatsächlich.

F: Das ist gut. Das wird Ihren Kosmos erweitern. Die Grenzen verschieben sich. L: Ich bin gespannt inwieweit.

F: Es wird sich schon alles fügen. Bei mir wird es auch so sein. L: Wie können Sie sich da so sicher sein?

F: Solange man in Bewegung bleibt, bleibt man nicht stehen. Verstehen Sie? L: Ja, man erfährt neue Eindrücke und so neue Blickwinkel.

F: So ist es.

L: Also in Bewegung zu bleiben kann auch gesund sein.

F: So lange man immer mal wieder pausiert und in der Stille zurück blickt. Sich einfach Zeit nimmt. L: Danke dafür. Das war ein sehr ungewöhnliches aber schönes Gespräch.

F: Ich habe zu danken. Machen Sie es gut Loui.

Aufgelegt.

L: Liebe Zuhörer, ihr hört hier KeeyOne und ich bin nach diesem sehr außergewöhnlichen Gespräch wieder ganz für euch da! Wir hörten gerade Franks Ansicht, von einer sehr philosophischen Definition des Kosmos und ich wurde dabei in ein nicht alltägliches Gespräch hineingezogen. Das war nicht nur ein netter Plausch liebe Freunde, das war Magie. So etwas gibt es nur hier, bei KeeyOne! Ich verabschiede mich für heute Nacht und ihr dürft weiter in Kanadas abgespaceteste Playlist reinhören! Wir hören uns wieder morgen und ihr dürft wieder gespannt sein! Bis dahin, übersteht die Nacht gut und vielleicht hat euch das Gespräch selbst dazu angeregt über euren ganz eigenen Kosmos nachzudenken. Musik spielt.




Sofia Bunnell, geboren 1995, macht gerade eine Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten und studiert nebenher Kulturwissenschaften mit dem Schwerpunkt Literatur. In Karlsruhe lebt und arbeitet sie nicht nur, sondern verbringt dort auch ihre Zeit mit dem Lesen und Schreiben verschiedenster Texte. Momentan arbeitet sie an ihrem ersten Buch. 






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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Potentialentfaltung und Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

2 Kommentare zu „Stille

  1. Wunderbarer Text.
    Kosmos als Grenze zwischen Raum und Zeit – zwischen Energie und Materie…

    Gibt es nicht nur eine Raumzeit? Ist nicht Materie in Wirklichkeit verdichtet wahrgenommene Energie – also alles nur Energie?

    Ist nicht die Raumzeit auch eine Form von Energie – die allem anderen erst die Wirkung als Ursache verleiht?

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  2. Eine Geschichte, die exemplifizierend die Vorurteile über Stille, Einsamkeit und Alleinsein beschreibt.

    Eine Geschichte, die aufzeigt, wie man mit Meschen, die anders denken, fühlen und leben umgeht. Sie sollen kleingemacht werden. Zum Glück wehrt sich sich Frank lakonisch, unangegriffen und trocken, aber vor allem souverän.

    Es gibt eine Figur bei Tom Waits, die heißt auch Frank. Die zündet am Schluß das eigene Haus an. weil man ihn normieren will.

    Eine knorke Geschichte, deren Radiosetting man sich zudem richtig gut vorstellen kann.

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