Ode an die moderne Elternschaft

Janina Lara Makowe für #kkl45 „Mutter, Vater, Eltern“




Ode an die moderne Elternschaft

Ich dachte nicht, dass ich eine dieser Frauen werden würde, die ihre Kinder bereuen. Nach dem fünften Tag aus dem Krankenhaus war es dann soweit.

Es war 3:37 Uhr nachts. Das Baby schrie. Das tat es häufig, würde es noch bis zum ersten Lebensjahr regelmäßig tun. Ich lag auf meinem Bauch, das Kissen um die Ohren geworfen und versuchte, das Kreischen auszublenden. Ich redete mir ein, mein Mann wüsste, was zu tun sei. Er hatte genau wie ich im Krankenhaus aufgepasst. Er hatte mit dem Arzt telefoniert als Emmy angefangen hatte zu schniefen.

Am Anfang war sie noch laut. Es war dasselbe kräftige Brüllen, mit dem sie zur Welt gekommen war, ein Schreien, so massiv und sirenenähnlich, dass man es durch mehrere Wände hätten hören können. Sie hatte Schmerzen, das war bei einer Erkältung zu erwarten, und verstand sie nicht, was sie noch nervöser machte, auch verständlich. Da war man aus einer wohlig weichen Umgebung herauskatapultiert worden und entwickelte sofort Schnupfen? Ich wäre auch sauer gewesen.

„Bleib liegen, du musst dich ausruhen. Wochenbett, schon vergessen?“ fragte mich mein Mann, ein dümmliches Grinsen im Gesicht, das ich im Normalfall für sehr süß befunden hätte, mich jedoch nun, da das kataklystische Kreischen meines neonatalen Neufamilienmitglieds in meinen Ohren klingelte, einfach aufregte.

Wann hatte ich aufgehört, meinem Mann dankbar zu sein? Er strengte sich an, mehr als die meisten Partner es vermutlich tun würden. Was keine besondere Leistung war. Wenn ich Familien in der Öffentlichkeit sah, so war mindestens ein Drittel der Väter von der Sorte, die im gemeinsamen Urlaub den Morgen an der Baar verbrachte und seine Kinder wortlos anstarrte, wann immer die Mutter so dreist war, auf die Toilette zu gehen. Nicht meiner. Meiner hatte alle Bücher gelesen, sämtliche Kurse mitgemacht. War mitunter so gut vorbereitet, dass ich ihn zurückhalten musste. „Ein Schritt nach dem anderen, okay?“ Den Satz hat er mehrmals von mir gehört. Und trotzdem hat er weitergemacht, im Maße, für mich im Kreissaal gekämpft und mir nach der Geburt die Stirn gestreichelt und mir gut zugeredet, obwohl alle, Ärzte und seine Mutter eingeschlossen, nur noch Augen für das Kind hatten. Meiner ist ein Guter. Trotzdem will ich ihn aus dem Zimmer werfen.

Jetzt tu doch etwas. Das kann doch nicht so schwer sein!

Emmys Schreien zog sich in die Länge, wurde weinerlicher, schwächer, winzige Beschwerden unterbrochen von kleinen, glucksenden Hustenanfällen. Er schafft das schon, er hat sie im Arm. Sie jammerte weiter, inzwischen nur noch klägliche Schluchzen. Es fühlte sich an, als hätte man mir eine Schnur um das Herz gebunden und würde langsam an ihr ziehen. Gleichzeitig spürte ich ein Loch im Magen, so tief wie der Marianengraben.

„Ich glaube, sie hustet nicht mehr.“ meint er.

Schnief, schnief, schnief. Huä, huä, huä.

„Gib sie her.“ Ich stehe auf, die Welt dreht sich. Aber egal. Ich reiße meinem Mann das Kind aus den Händen, stolpere auf den nächsten Stuhl. Er sagt nichts, starrt mich eine Weile aus der Dunkelheit an, als sei er mein eigener Schatten. Ich gehe aus dem Zimmer. Um 4:13 Uhr bilde ich mir ein, ein leises Schnarchen aus dem Schlafzimmer zu hören.

Ein Hüsteln, ein Weinen. Die Temperatur überprüfen. 37, 7. Das ist viel, aber es sind nicht die 38, bei denen wir ins Krankenhaus müssten. Die Atmung ist zwar eingeschränkt, aber regelmäßig. Husten tut sie fast gar nicht mehr. Tatsächlich zeigt sie sogar an, dass sie gestillt werden möchte. Ein grauenhafter Prozess, denn ich produziere nicht viel und das Saugen verstärkt irgendwie die Nachwehen. Aber die Krankenschwester meinte, da müsse ich jetzt durch, eine Idee, die ich zwar als Bullshit identifizieren kann, mir aber dennoch nachhängt.

Also setze ich mich auf, reiße die Augen auf, obwohl ich todmüde bin, zwinge mich zur geraden Haltung, obwohl es sich anfühlt, als würde ich bald in zwei Hälften zerbrechen und stille, auch wenn diese Handlung hunderte winzige Erdbeben durch meinen Körper schickt.

Beim Gedanken an die nächsten Wochen läuft es mir kalt den Rücken herunter. Die ganzen Arzttermine, die Impfungen. Wenn ich schon so gereizt auf das Schreien wegen eines Schnupfens reagiere, wie werde ich dann erst drauf sein, wenn sie ihre erste Spritze bekommt? Am Ende muss man mich noch festhalten. Im jetzigen Zustand ist es sehr gut vorstellbar, dass ich mich in eine Furie verwandle.

Kommt irgendwann die Freude? Die Sorgenlosigkeit? Denn es ist ein Müssen, das sich Sorgen, das ist ganz klar. Wenn ich könnte, würde ich diesen Drang abschalten. Er hilft niemandem. Gut, vermutlich hat er seinen biologischen Zweck, aber muss ich in einer Welt voller Supermärkte und 24-Stunden Apotheken wirklich noch Angst bekommen, wenn mein Kind einen Husten entwickelt? Sollte diese Furcht, die mir das Herz zerreißt, für Kämpfe gegen Höhlenlöwen oder Säbelzahnkatzen und nicht vollkommen überwachbare und normale Krankheitsverläufe reserviert sein?

Nochmal messen. 37, 6. Es ist etwas runtergegangen.

Immer noch erhöhte Temperatur. Immer noch nicht weit entfernt vom lebensbedrohlichen Fieber.

Emmy kriegt von meinen Gedanken nichts mit. Ich summe und übertöne sie, ausnahmsweise. Nach einer kurzen Zeit ist sie eingeschlafen, eingemummelt in meinem Armen, diese niedliche, abgrundtief schöne Trockenpflaume von einem Lebewesen. Neugeborene finde ich immer hässlich, aber bei Emmy ist mir das egal. Es zahlt sich fast aus, die Übermüdung, die Schmerzen, der kontinuierlich ansteigende und lange am Höhepunkt verweilende Selbsthass, die Streite mit meinem Mann.

Fast. Bereuen tust du es immer noch ein bisschen. Manchmal sogar ein bisschen sehr.

Sie ist wieder eingeschlafen, dieses Mal mit dem Baby im Arm. Wenn ich versuche, Emmy zu mir zu holen, wird sie definitiv aufwachen. Und dann wird sie weinen, meine Frau sich wiederum Sorgen machen und nicht schlafen. Aber in die Küche gehen und putzen kann ich jetzt auch nicht. Was, wenn sie Emmy aus Versehen fallen lässt?

Also setze ich mich vor sie hin und beobachte sie. Diesen Anblick habe ich mir schon lange gewünscht, aber ich wünschte, der Preis wäre niedriger. Tag Fünf und sie fängt sich eine Erkältung ein. Ich verstehe, warum sie sauer auf mich ist. Das ist am Ende meine Schuld. Ich hätte es verbieten, besser auf Emmy aufpassen sollen. Neugeborene haben beschissene Immunsysteme, das muss man doch nicht in einem Buch lesen, um es zu verstehen!

Es dauert eine Stunde, bis meine Frau aufwacht. Zuerst erkenne ich die Regungen genau, dasselbe süße Rümpfen der Nase, das langsame Blinzeln, das Gähnen. Doch dann bemerkt sie, dass sie eingeschlafen ist und fängt an zu weinen. Die Tränen kommen sofort, ein schrecklicher, hormonbedingter Dammbruch, gegen den ich fast nichts ausrichten kann.

„Es ist alles in Ordnung.“ Sage ich und streiche ihr über die Schultern. Doch jetzt ist Emmy auch wach und weint noch lauter als meine Frau. „Ich bin doch hier. Ich habe doch aufgepasst.“
„Ich…bin…einfach…eingeschlafen.“, schluchzt sie, „Was für eine schreckliche Mutter bin ich denn?“

„Schatz, jetzt beruhige dich doch. Du machst Emmy ganz nervös.“

Sie erstarrt, als hätte ich ihr den Kopf der Medusa entgegengestreckt. Die Tränen fallen weiter, doch das Zucken des Gesichtes versiegt. Sie nickt, die Stirn gefurcht, die Augenbrauen zusammengezogen. Das ernste Gesicht. Damit wiegt sie unsere Tochter wieder in den Schlaf, was in jeder anderen Situation sehr witzig ausgesehen hätte. Ich weiß aber, dass sie gerade Tränen zurückhält, und mir wird schlecht deswegen.

„Wir sollten reden, findest du nicht?“ Ein Vorschlag, den ich vermutlich schon vor zwei Tagen hätte bringen müssen. Wir legen das Kind in ihr Bettchen und gehen ins Nebenzimmer. Setzen uns auf das Sofa, berühren einander jedoch nicht. Es ist 5:03 Uhr.

„Meine Mutter hat Hausverbot. Bis sie sechs Monate alt ist, mindestens. Mehr, wenn du möchtest.“

 „Ich möchte vermutlich mehr.“ Sagt sie. Ich nicke. „Verständlich.“ Sage ich.

Jetzt lässt sie die Tränen wieder laufen, aber es sind weniger und sie fallen langsamer.

„Ich fühle mich so schlimm. So inkompetent.“

„Das bist du nicht. So geht es allen.“

„Ich weiß, das sagen sie immer. Gleichzeitig möchten sie aber immer so tun, als wären sie besser gewesen.“

„Geht es wieder um meine Mutter?“ „Möglicherweise.“

„Fairer Punkt.“

Eine Weile schweigen wir uns weiter an. Es ist 5:33 Uhr.

„Ich will nicht, dass du denkst, ich würde deine Hilfe nicht wertschätzen. Du machst sehr viel, das merke ich auch…“ Sie prustet sich die Nase.

„Es ist keine Hilfe, es ist mein Job.“ „Ja, es ist dein Job, du hast Recht.“ Sie seufzt, dreht sich, legt den Kopf in meinen Schoß. Ich streichele ihr durch die Haare, über Wangen und Stirn, den Nacken. Kurz fühlt es sich wieder wie früher an, als die schlimmsten Probleme nur uns etwas angingen und nicht dieses wehrlose Geschöpf, das wir unbedingt in die Welt setzen wollten.

„Mein ganzer Körper schreit, wenn ich sie weinen höre. Wenn ich es stoppen könnte, ich würde es tun. Ich weiß, dass du auf sie achtest. Wirklich.“ Sie weint nicht mehr. „Ich liebe unsere Tochter wirklich sehr, aber manchmal weiß ich nicht, ob ich sie schon mag.“

Ein solches Geständnis sollte zerschmetternd sein, aber mich beruhigt es. Als hätte man die Leere, die zwischen uns seit fünf Tagen herrscht, mit etwas gefüllt. Nichts Schönem, aber etwas Substantiellem. Etwas, mit dem man arbeiten kann.

„Willst du mit jemand anderem über darüber reden? Jemand Professionelles?“ frage ich.

„Vielleicht.“

„Ein Schritt nach dem anderen, okay?“

„Okay.“





Janina Lara Makowe entdecke ihre Leidenschaft zum Schreiben, als sie im Rahmen eines Literaturkurses die Möglichkeit bekam, eine Sammlung eigener Kurztexte zu verfassen und im Zuge einer Lesung vorzustellen. Ihre erste Veröffentlichung folgte 2020, als ihre Kurzgeschichte „Cadaverosus organum“ in der 78ten Ausgabe der Literaturzeitschrift Am Erker publiziert wurde. Im selben Jahr wurde sie für ihren Beitrag „Warum hast du keine Zukunft?“ mit dem Jurypreis des Essay-Wettbewerbs Friedrich Engels – Vorgestern, Gestern, Morgen? ausgezeichnet. 2022 und 2023 folgten weitere Veröffentlichungen in den Anthologien Es ist der Geist, der führt und Die Freiheit, die ich meine.






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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Potentialentfaltung und Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

Ein Kommentar zu “Ode an die moderne Elternschaft

  1. Guten Tag Janina Lara Makowe,

    Bitte lesen Sie ihren Text noch einmal. Er enthält viele Fehler: Baar statt Bar, Kreissaal anstatt Kreißsaal, im vierten Satz von unten heißt es: Willst du mit jemand anderem (über) darüber reden? , die wörtliche Rede wird fast nie durch ein Komma abgeschlossen ect.

     

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