DER RING DER EWIGKEIT

Sonja Henkel für #kkl52 „Essenz“




DER RING DER EWIGKEIT

Wenn ich meine Augen schließe und ins Land der Erinnerung eintauche, sehe ich Mexiko und damit einen meiner schönsten Urlaube.

Ich war aus dem winterlich kalten Europa entflohen in die tropische Schwüle von Mittelamerika. Von den Bahamas hatte mich das Schiff nach Cozumel, meinem eigentlichen Ankunftsort gebracht.

Meine Stimmung war ähnlich, wie das winterliche Europa – nasskalt und trübe. Ich war zu ausgepowert und erschöpft, um die Schönheit der Landschaft, die süßlich schweren Düfte und die Schwüle des Klimas der Tropen wahrzunehmen.

Nur eines wollte ich – weg – weg von Menschen, weg vom Lärm, nicht reden müssen, nicht antworten, nichts entscheiden, nichts begreifen. Es stand schlimm um mich, ich fühlte mich uralt, ausgelaugt und ausgebeutet. Und ich hatte es satt – satt zu lachen, immer gut gelaunt und stark zu sein, andere aufzurichten und zu trösten. Wie viele kleine und größere Sorgen und Nöte wurden tagtäglich bei mir abgeladen, für die ich alle eine Lösung, ein freundliches Lächeln, Trost und ein aufmunterndes Wort parat haben musste. Aber wer fragte je nach mir? Ich konnte mich nicht einmal mehr erinnern, wann mich jemand mit echtem Interesse, nicht als gesellschaftskonventionelle Floskel, gefragt hatte, wie es mir geht. Ich lebe in einem Umfeld, das meine Kraft, meine Energie und meine Gefühle aufsaugt wie ein Schwamm. Und gleich diesem gibt es nichts zurück. Ich verliere mich, ich verliere mich selbst, meine Eigenheiten und meine Persönlichkeit, meine Wünsche und Träume, bin begraben unter anderen, sodass ich mich nicht mehr finden kann. Würde jetzt in diesem Moment eine Fee vor mir auftauchen und mir einen Wunsch gewähren, so könnte ich ihr nicht einmal einen nennen. Ich weiß nicht, was ich mir wünsche, was ich mir wünschen soll oder was ich brauche, ich will nur schlafen und all die düsteren fremden Gedanken und Bilder, die Probleme, Ängste und Sorgen anderer aus meinem Kopf schütteln und wieder einmal in einem goldenen Morgen erwachen.

 Der darauffolgende Morgen war zwar golden, meine Stimmung leider nicht. Fast fluchtartig verließ ich das Hotel, jedem Menschen und jeder Frage in hohem Bogen ausweichend, suchte mir einen einsamen Platz am Strand, setzte mich auf die Mole und starrte auf das Meer. Ich weiß nicht mehr wie lange ich so gesessen und vor mich hingestarrt hatte. Plötzlich hörte ich eine Stimme hinter mir „Führer Madam“? Stumm und ohne mich umzudrehen schüttelte ich den Kopf, „nein, Madam will keinen Führer, Madam will allein sein, geh weg und lass mich zufrieden“, dachte ich. Der Jemand war anscheinend hartnäckig, ich merkte wie er sich neben mir niederließ. „Wenn nicht heute, vielleicht morgen“? Mit einem resignierenden Seufzer drehte ich mich zur Seite. Neben mir saß ein kleiner Mexikaner in weiten blütenweißen Leinenhosen, Espadrilles, einem gestreiften T-Shirt und einem ausgefransten Strohhut auf dem Kopf. Das braune, lederartig gegerbte Gesicht war von unzähligen Falten durchzogen, die meisten von ihnen standen als Lachfalten rund um die listigen schwarzglitzernden Augen. Sein Haar war weiß und sein Mund fast zahnlos. Sein Gesicht war so drollig freundlich, dass ich an einen alten Schlager denken musste, „Dort wo man singt und lacht, da ist Pepe“. Er hieß aber nicht Pepe, sondern Miguel, wie er mir mitteilte, den Rest seines spanisch-englischen Kauderwelsches konnte ich nicht recht verstehen. Er plauderte einfach vor sich hin, fragte nur woher ich kam und ob ich nicht die Stätten der Mayas besuchen wollte. „Aber nicht für Touristen“, warf er sofort ein und ich bewunderte insgeheim seine Menschenkenntnis. Von ihm ging eine Sympathie und ein Mitgefühl aus, das mich sehr berührte. Also vereinbarte ich, dass er mich am nächsten Morgen vor meinem Hotel abholen sollte. Er verabschiedete sich indem er mir erst auf die Schulter klopfte, dann unter mein Kinn griff, mein Gesicht leicht anhob und mit dem Daumen sacht über meine Augen strich. Als er die warme Nässe auf seinen Fingern spürte, blickte er mich voller Teilnahme an und wollte zum Sprechen ansetzen. „Sonne“, sagte ich rasch erklärend und schob die Brille über meine feuchten Augen. Er ließ mein Kinn los, griff nach meiner Hand und drückte sie fest. Ich fühlte nicht die zahlreichen Schwielen und die rissige Haut, sondern ich fühlte Verstehen und menschliche Wärme. Dann ließ er mich allein.

Pünktlich am nächsten Morgen stand er da und grinste mich freundlich an. Er erklärte, dass wir mit dem Bus fahren würden, weil er mir etwas zeigen wollte. Ich war einverstanden und wir machten uns auf den Weg. Der Bus war fast menschenleer, ich setzte mich ans Fenster und genoss das satte Grün der vorbeiziehenden Landschaft. Nach einer Weile tippte mir Miguel leicht auf den Arm, wir waren am Ziel, verließen den Bus und bogen in einen ausgetretenen Fahrweg ein. Es war drückend schwül und so begrüßte ich es, dass wir nach kurzem Fußweg an einem Gebäude ankamen. Miguel pfiff auf zwei Fingern und ein junger schwarzlockiger Bursche kam eilig herbeigelaufen. „Mein Neffe“, stellte er ihn mir vor, „hier wollen wir ein bisschen bleiben und etwas trinken“. Ich nickte, ließ mich auf einen Holzschemel vor dem Haus nieder und lehnte mich gegen die Wand, während Miguel im Haus verschwand. Eben wollte ich meinen Blick schweifen lassen, als ich durch eine Bewegung abgelenkt wurde. Circa fünf Meter vor mir, stand eine lange Stange auf der eine kleine Meerkatze saß, die soeben flink herunterturnte und neugierig auf mich zukam. Sie hatte ein Halsband um, an dem eine dünne Kette befestigt war. Kurz vor mir setzte sie sich hin und ich schaute in das drollige kleine Affengesicht mit den glitzernden schwarzen Augen – „Augen wie Miguels“, dachte ich. Automatisch begann ich meine Taschen nach Leckerbissen zu durchwühlen. Sie schnatterte leise und rückte noch näher. Leider hatte ich nichts bei mir und streckte ihr bedauernd die leeren Hände entgegen. Sie starrte mich an, schien zu begreifen was ich ausdrücken wollte und wie verzeihend legte sie ihre kleine Affenpfote in meine Hand. Ich umfasste die zarten langen Finger, strich mit dem Daumen liebkosend über ihren Handrücken und konnte zum ersten Mal nach langer Zeit wieder lächeln. Da kann Miguel zurück, in der einen Hand trug er ein eisgekühltes Glas Saft, auf der anderen saß ein Leguan. Ich ließ die Affenhand los, nahm das Saftglas dankend entgegen und blickte staunend auf den Leguan. Miguel setzt sich auf die Treppen und legte mir den Leguan in den Schoß. „Er ist ganz zahm“, lächelte er “oh, und hier für den Affen“ und zog eine Tüte Erdnüsse hervor. Es war schon erstaunlich wie gut er sich in mich hineinversetzten konnte. Dem Leguan behagte es auf meinem Schoß, er bewegte nur leicht seine Beine so als suche er sich eine bequeme Stellung und saß dann ganz ruhig. Mit der linken begann ich die warme trockene Reptilhaut des Tieres zu streicheln, das seine Augen schloss und die Liebkosung genoss, mit der rechten fischte ich Erdnüsse aus der Tüte, die ich der Meerkatze, die sie ganz manierlich aus meiner Hand nahm und verspeiste, reichte. Sie kam zu mir, presste sich gegen meine Knie, schnatterte leise vor sich hin und ich kraulte sie am Hals. Endlich begann ich mich zu entspannen und zu genießen, fühlte die wärmenden Strahlen der Sonne, eine Wohltat nach dem winterlichen Europa, atmete den schweren Geruch des nahen Dschungels, lauschte dem drolligen Geschnatter des kleinen Affen und streichelte den Leguan auf meinem Schoß. Und neben mir saß Miguel und ließ mich schweigen. Wie ich ihm das dankte, wie ich ihm das mein Leben lang danken würde.

Wir blieben den ganzen Tag bei Miguels Neffen, allein in einer wunderbaren Ruhe, nur mit den Tieren. Und für den nächsten Tag versprach er, mir einen ganz geheimnisvollen Platz zu zeigen.

Als er mich am anderen Morgen abholte, ich war herrlich ausgeruht und hatte großartig geschlafen, war ich schon sehr gespannt, was mich erwartete. Wieder fuhren wir mit dem Bus und betraten danach einen schmalen Fußpfad, der uns direkt in den Dschungel führte. Der Weg stieg in steilen Kehren bergan und die drückende Schwüle des tropischen Klimas macht einem Mitteleuropäer schwer zu schaffen. Die Kleidung klebte bald schweißnass an mir und mein Durst war kaum zu stillen. Vor meinen Augen flimmerte es und ich bekam Kopfschmerzen. Miguel ging etwas vom Weg ab, grub eine kleine Wurzel aus, reinigte sie mit seinem Messer und gab sie mir zum Kauen. Sie schmeckte scharf und bitter, aber fast augenblicklich ließ der quälende Durst nach und die Kopfschmerzen verschwanden. Wir setzten unseren Weg fort und kamen letztendlich auf einem sonnenbestrahlten Plateau heraus, auf dem eine Pyramide der Maya stand.

Niemals werde ich diesen Anblick vergessen, die Mystik die über diesem Ort liegt, ist nicht zu beschreiben. Es war als sei die Luft gefüllt mit Stimmen die wisperten und lockten. Ich sah diesen steinernen Zeugen der Zeit an, tausende von Jahren alt, umgeben von der üppigsten tropischen Vegetation. Rätselhafte Orchideengewächse wechselten sich ab mit armdicken Lianen und sattgrünen Ranken, bizarre Blattformen ließen, vom Wind bewegt, lebende Schatten auf dem Boden entstehen. Flinke kleine Geckos huschten über Felsbrocken und durch das Gras, auf einem großen flachen Stein, von der Sonne beschienen, lag eine Boa constrictor, ließ sich träge ins Gras gleiten und verschwand. Wunderschöne Monarch- und Morphofalter mit Farben, die kein Maler auf seine Leinwand bannen kann, flatterten vorüber, kleine bunte Vögel wie blitzende Edelsteine kreuzten meinen Blick und aus dem Dschungel erklang das Kreischen der Affen und Papageien.

Ich griff nach Miguels Hand, presste sie fest zwischen meinen beiden, brachte kein Wort heraus und fühlte wie ich frei wurde, wie die fremden Gedanken und Bilder von mir wichen und ich wieder ich selbst wurde. Und mein Führer sah mich lächelnd an, nickte und meinte; “I knew, that you have the ability to look with the heart “

Urplötzlich verdunkelte sich der Himmel, große dunkle Wolken zogen herauf und in Sekundenschnelle brach der Regen los. Fast augenblicklich waren wir bis auf die Haut durchnässt und zum ersten Mal in meinem Leben, war es mir völlig egal wie ich aussah, egal ob mein Haar die Form verlor und wie es morgen aussehen würde, egal ob sich meine Schuhe aufweichten und was mit meiner Kleidung passiert. Ich war ganz einfach Mensch, hier konnte ich es sein.

So schnell wie er gekommen war, versiegte der Regen wieder, die Wolken verzogen sich und die Sonne kam zurück. Und vor meinen Augen entstand der prachtvollste Regenbogen, den ich je gesehen hatte. „Look“, sagte Miguel „the ring of Eternity“. Der „Ring der Ewigkeit“, erzählte er mir umspannt die ganze Erde, er zeigt an, dass immer Licht auf die Dunkelheit folgt, immer Farben auf Schwärze, alle Geschöpfe kommen aus ihm und gehen wieder in ihn zurück. Dann dreht er sich weiter und lässt sie an einer anderen Stelle wieder ein neues Leben beginnen und so dreht er sich immer fort, bis einmal alle Aufgaben erfüllt sind und er stillsteht. Dann wird Frieden sein auf Erden.

Ich hörte ihm zu, lauschte den Geräuschen des Waldes, verfolgte den blasser werdenden Regenbogen mit den Augen und stand im Land hinter dem Regenbogen, wo kleine blaue Vögel fliegen und Ärger, Unbill, Kummer und Verdruss wegschmelzen wie saure Drops.

Viel Zeit verbrachte ich noch mit Miguel und seiner Familie, nahm an einem Geburtstagsfest für seine Enkelin teil, trank Zuckerrohrschnaps – für einen Europäer zum Erblinden, und genoss jede Stunde mit ihm.

Als der Tag meiner Abreise herankam, begleitete er mich zum Flughafen und konnte vor Rührung kaum sprechen. Fest umklammerte er meine Hände zum Abschied und stockend erklärte er mir: “don’t forget, you have a friend in Mexico, who would give his life – Miguel“! Ich antwortete indem ich ihn heftig umarmte, mich abrupt umwendete und ging. Ich wusste, dass ich nichts zu sagen brauchte, Miguel hat mich immer ohne Worte verstanden.

So flog ich also aus dem Paradies zurück in das winterliche Europa, zurück in meinen Alltag.

Und wenn’s mir sehr eng und das Herz wird, denk ich an meinen Führer, meinen mexikanischen Freund – Miguel. Der zaubert dann für mich mit einem bunten Pinsel den tröstlichen „Ring der Ewigkeit“ herbei. Und sooft ich einen Regenbogen sehe weiß ich, dass es es gibt, das Land hinter dem Regenbogen.

Bild Sonja Henkel, KI





Sonja Henkel, geboren 08.10.1956 in Wien, seit 2015 wohnhaft in Niederösterreich.

Seit über 20 Jahren journalistisch tätig, Verfasserin verschiedener themenbezogener Artikel in den Bereichen Kunst, Naturwissenschaften, Biologie, Tierschutz und Rechtswesen.

2012 erweitert auf Kurzgeschichten, literarische Texte, Romane, 1 Kinderbuch verfasst, weitere sind in Arbeit.






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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Potentialentfaltung und Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

Ein Kommentar zu “DER RING DER EWIGKEIT

  1. Naja die wiener Scientology Geheimdienst Chefin und ihre seelische Leiden. Die zahlreiche ins Wahnsinn getriebene Opfer sollten seit Jahrzehnte lang und bis Ende von allen Ewigkeiten leiden und sie sollte irgendwie von Karma entkommen. Mehiko und Miguel sollten ihr helfen. Etwas lebenslanger State Prison für sie und Opfer wesentlich heilsamer. Sie sollte lieber aufhören welchen gehirngewaschener bösartigen Erzverbrecher zu Trosten und ehrliche Leute zu schädigen.

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