Pflanztag

Johanna Wurzinger für #kkl4 „Vertrauen“



Mürbe und warm zerbröselt die Erde in meinen Händen, rieselt zwischen den Fingern hinab und legt sich als pulverige Schicht um meinen Ring: Seit gut einer Woche hat es nicht geregnet; die Bedingungen könnten idealer nicht sein.
Auf dem Feld wimmelt es von Menschen; Pensionistinnen und Studenten, ältere, umweltbewusste Ehepaare und junge Familien mit kleinen Kindern, alle emsig damit beschäftigt, ihr Saatgut und ihre Setzlinge entgegenzunehmen und auf der für sie abgesteckten Parzelle zu säen und zu pflanzen. Dazwischen die Bäuerin und ihre Leute, die Samenpäckchen und Pflänzchen aushändigen, Neulingen gute Ratschläge geben und mit Altbekannten über das Wetter plaudern.

Schritt eins besteht darin, eine Schnur zwischen zwei Pfosten zu spannen, die die Grenze zu den Nachbarn (ein älterer Mann mit Ziegenbart und Nickelbrille zur Linken und eine etwa zwanzigjährige Frau in sommerlich kurzem Rock zur Rechten) markiert. Die verwitterten Pfosten entfalten in der Sonne ein trockenes, würziges Aroma nach Sommer und Freiheit, nach Vorfreude und Abenteuer.

„Gibst du mir bitte die Latte?“ Meine Tochter unterbricht ihre momentane Tätigkeit, nach feuchter Erde zu graben und diese wie eine kleine Pillendreherin zu Kügelchen zu formen, und reicht mir das Brett mit den in jeweils fünf Zentimetern Abstand angebrachten Markierungen herüber.
Rote Bete. Ich ziehe entlang der Latte eine erste, gerade Rille, in die ich die erstaunlich kleinen, grauen Samenkügelchen, die etwas von Katzenstreu an sich haben, kullern lasse und schiebe anschließend vorsichtig Erde über sie. Bald werden sie in der Wärme zu keimen beginnen, zarte, rot geäderte Blätter werden sich aus der Erde recken. Plötzlich eine Änderung in der Geräuschkulisse: Laut spektakelnd fliegt aus dem benachbarten Wäldchen eine Schar Tauben auf und streicht dicht über unsere Köpfe hinweg, ihr Schatten folgt ihnen. Meine Tochter und ich sehen uns an und lachen.

Ich stehe kurz auf und recke mich, spüre dem wohltuenden Knacken der Wirbelsäule nach, bevor ich mir die nächste Reihe vornehme: Mais. Zehn kleine Löcher im Abstand von fünfzehn, zwanzig Zentimetern. Verhutzelte, gelbe Körnchen, die kaum Ähnlichkeit mit den prallen Maiskörnern aufweisen, die wir in einigen Monaten genießen werden. Auch die wilden Kaninchen haben in der letzten Saison Gefallen an den saftigen Kolben gefunden, sehr zur Freude meiner Tochter, die sich den Osterhasen nun besonders gewogen glaubte. Mal sehen, was heuer passieren wird.

Buschbohnen: Der Gedanke an die Geschichte von dem Buben, dem Bohnenranken auf Hals, Nase und Ohren sprießen, kommt mir und lässt mich lächeln. „Kennst du eigentlich die Geschichte vom Bohnen-Jim?“, frage ich meine Tochter, und diese verneint, begierig darauf, zu erfahren, welche unerwarteten Folgen das Verschlucken einer rohen Bohne haben kann.

Die Nachmittagssonne wärmt unsere Rücken, während ich erzähle und dabei Rille um Rille in die warme Erde ziehe, Löcher steche und Samen darin versenke. Die Erde wärmt meine Knie, auf denen ich mich Meter um Meter auf unserer Parzelle voranarbeite.

Steckzwiebel: zweiundsiebzig Löcher in Reih und Glied in der warmen Erde, ein Regenwurm ringelt sich eilig in tiefere Erdschichten hinab.

Salat, rührend schlapp in den winzigen Aussaattöpfchen, die zerfallen, sobald man sie etwas fester anfasst, aber ich weiß, dass der Schein trügt und aus dem zarten Grün schon bald stattliche Salatköpfe werden, so stattlich, dass wir die Hälfte davon herschenken werden.

Die Ersten werden fertig, wenden sich zum Gehen, fröhliche Grüße fliegen über unsere Köpfe hinweg. Auch wir haben alles gut in den Boden eingebracht. Die Samen muss man nicht festgießen; die Setzlinge hingegen schon. Meine Tochter schleppt stolz eine Gießkanne herbei. Die Luft riecht nach Kindheit: Nach Sandkuchen und Matschbrei auf Moossalat, nach Holzwürstchen und Laubsuppe, nach stundenlangem Spielen und dem selbstvergessenen Eintauchen in eine andere, gleichwohl nicht minder existente Welt.  Wie ein kleiner Frosch schiebt sich die Hand meiner Tochter in meine, und wir stehen eine Weile still da und betrachten unser Feld, bevor wir uns auf den Heimweg machen.




Johanna Wurzinger, geboren 1983, Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft und der Slawistik in Wien und St. Petersburg. Teilnahme an der Leondinger Akademie für Literatur. Beruflich beschäftigt als Presse- und Werbetexterin, daneben freie schriftstellerische Tätigkeit. Zahlreiche Veröffentlichungen in Magazinen, Literaturzeitschriften und Anthologien.  Zwei booklits mit Erzählungen unter dem Titel „Leumundszeugnis“ und „Gefällt mir“ erschienen 2019 und 2020 im Literatur Quickie Verlag in Hamburg.

Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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