Samson

Cornelia Koepsell für #kkl12 „Dazwischen“




Samson

Als Gott seinen Odem in die Welt hauchte, da begannen die Würmer zu kriechen, die Maulwürfe zu graben, die Spinnen webten kunstvolle Netze, in denen sich fette Fliegen verfingen.

Auch Samson – der Menschenaffe – erhob sich aus dem Vierfüßler in den Zweifüßlerstand und erlitt wenig später einen Bandscheibenvorfall.

Schnell ließ er sich auf seine vier Füße  zurückfallen. Momentan die einzige Fortbewegungsart, die ihm möglich war. Er kroch durchs Unterholz auf der Suche nach Essbarem. Wenn Samson fraß, waren alle Schmerzen und Wehwehchen vergessen. Ein Wohlgefühl breitete sich in seinem Körper aus, nicht ganz, aber fast so schön, wie wenn er mit Karla den Sechsfüßlerstand probte. Aufgrund seines Bandscheibenvorfalls stand ihm momentan nicht der Sinn nach einer solchen Übung mit Karla, seiner Gefährtin.

Sein Verhältnis zu ihr war gespannt, nachdem er hoch über den Wipfeln des Dschungels eine Andere erblickt hatte, die sich schwungvoll und graziös an den Lianen entlang hangelte.

Der Anblick ihres zarten Gesichts in Verbindung mit ihrem roten Hinterteil hatten ihn aufgewühlt. Etwas Starkes, Gewaltiges ließ seine Augen trüb werden vor lauter Anstrengung seinen Körper und seine Seele am Zerspringen zu hindern.

Am nächsten Tag bemühte sich Samson umso mehr um Karla, die treue, langjährige Gefährtin. Besonders jetzt, wo er krank war, stand sie ihm hilfreich zur Seite, holte die dicksten Bananen für ihn vom Baum oder saß hinter  seinem Rücken, um ihm mit zarten Fingern die Läuse aus dem Pelz zu pulen.

Während so einer Fellpflegesitzung sah Samson sie wieder – die Andere – einige Bäume weiter, wie sie mit Eckart, seinem Rivalen herum turtelte. Sie waren kurz davor in den Sechsfüßlerstand überzugehen. Etwas zersprang in Samsons’ Brust. Jetzt war nicht nur die Bandscheibe lädiert. Es ging ums Ganze. Er stürmte los, ließ Karla sitzen, die treue Gefährtin, welche gerade eine der letzten Läuse aus seinem gesäuberten Fell mit dem Finger zerknackte und anschließend in den Mund schob. Samson raste los, rannte Eckart über den Haufen, der sich schon aus dem Vierfüßler in den Zweifüßlerstand erhoben hatte und das knallrote Hinterteil der Anderen mit den Händen umfangen hielt. Samson sah rot. Mit Händen und Füßen schlug er auf Eckart ein. Völlig überrascht nahm dieser viele Faustschläge hin.

Eckart konnte nicht so schnell umschalten von der eben noch verspürten Lust, die kurz vor der Erfüllung stand auf diesen mörderischen Angriff.

Irgendwann erkannte er den Ernst der Lage und wehrte sich. Das Adrenalin schoss in seinen Körper, hier ging es ums Leben. Samson, der Friedliche, der Gutmütige, der Sanfte hatte sich in eine Furie verwandelt. Wenn er – Eckart – sich nicht wehrte, würde er ihn totschlagen. So rangen und kämpften und schlugen sie sich fast eine Stunde lang.

Die Andere und Karla standen am Rand der Lichtung und schauten fassungslos zu. Sie konnten sich nicht erklären, was in den tobenden Samson gefahren war.

Irgendwann lagen beide aus vielen Wunden blutend und mit etlichen gebrochenen Rippen nebeneinander. Vor lauter Erschöpfung konnten sie nicht mehr kämpfen.

Karla und die Andere beugten sich über die Körper ihrer halbtoten Männer, versorgten und leckten ihre Wunden und eine jede schleppte den Mann, von dem sie glaubte, dass es der Ihre sei in ihre jeweilige Höhle und päppelte ihn über Wochen wieder auf.

Das rote Hinterteil der Anderen erblasste in dieser Zeit, weil das Leben andere Notwendigkeiten vorsah.

Bei Karla waren die sekundären Geschlechtsmerkmale weniger herausragend ausgebildet, was ihr nur recht war. Sie hatte sich auf eine langandauernde, friedliche Ehe mit Samson – ihrem Gefährten – eingestellt.

Doch nun – das wusste sie – war etwas Fremdes in ihr Leben getreten. In vollen Zügen genoss sie die Zeit, in denen sie Samson pflegen und ganz für sich haben durfte. Karla befürchtete, dass es möglicherweise die letzten gemeinsam verbrachten Tage sein würden. In ihrem Inneren bereitete sie sich vor auf Stunden der Einsamkeit und Verzweiflung.

Auch die Andere in der Höhle, wo sie Eckart versorgte, spürte, dass etwas auf sie zukam.

Etwas Starkes, Wildes, was sie nicht im Griff hatte, nicht kontrollieren konnte, dem sie ausgeliefert sein würde, wenn es erst einmal da wäre.

Sie wünschte sich ein ruhiges, geordnetes Leben mit Bananenmüsli am Morgen und gleichzeitig wusste sie, wenn das, was in der Luft lag, über sie hereinbrach, würde sie  keinen Gedanken verschwenden an ein gemächliches Leben und alles riskieren ohne Rücksicht auf die Folgen.

Während Samson dalag, sich pflegen ließ, das Herz tat ihm weh, diesmal aufgrund seiner Zuneigung zu Karla. Er wusste, dass er sie verlassen würde, verlassen musste – es war keine Frage des Wollens, er konnte nicht anders. So küsste er ihre Hände, wenn sie sanft seine Wunden versorgte. In seinen Augen standen Tränen und manchmal weinten sie gemeinsam.

Weil beiden klar war, ohne dass sie es aussprachen, was passieren würde, dass ihre ruhige, liebevolle Ehe keine Chance hatte gegen die von außen hereinbrechende Gewalt.

Eckart dagegen, gepflegt von der Anderen, wartete ungeduldig auf den Tag, wo er gesund genug sein würde, um in den Wäldern zu verschwinden.

Er hatte kein Interesse an einer Frau, wo der Griff nach ihrem zugegebenermaßen leuchtend roten Hinterteil ihn beinahe das Leben gekostet hätte.

So waren die Tage, wo beide Paare sich in ihre jeweiligen Höhlen verkrochen, die Ruhe vor dem Sturm, in denen sie Kräfte sammelten für das Schöne, das Schreckliche, das auf sie zukommen würde.




Cornelia Koepsell

Jahrgang 1955

literarisches Schreiben seit 2002

über 100 Einzelveröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien

Auszeichnungen: 3. Preis des Schwäbischen Literaturpreises 2011

3. Preis Frauen Literaturpreis 2014

3. Preis Berner Bücherwochen 2015

3. Preis Frauen Literaturpreis 2016 (Theaterstück)

1. Preis Kunsthaus Lisa 2021

Publikationsliste

Debütroman „Das Buch Emma“ , September 2013

Geest Verlag, ISBN 978-3-86685-409-3

Roman „Lauf weg wenn du kannst“ Juli 2017, Geest Verlag ISBN 978-3-86685-6097

Interview mit #kkl und Cornelia Koepsell hier





Über #kkl HIER

Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: