Christian J. Bauer für #kkl25 „Raum“
Die Stadt, aus der ich komme
In der Stadt, aus der ich komme, sind die Deckel der Mülleimer schräg, damit man nichts darauf stellen kann, sondern alles hineinwerfen muss.
Die Bänke dieser Stadt haben Armlehnen zwischen den Sitzen. Das ist sehr nett, findet unsere Vermieterin. Sie kann dann ihren Ellenbogen darauf ablegen, der vom Tragen der Tüten ganz eng geworden ist.
Die Straßen der Stadt, aus der ich komme, sind lang. Sie führen dich überall hin, wenn du in einen Wagen steigst und das Gaspedal durchdrückst. Die Straßen dieser Stadt sind auch breit, das sorgt für eine schlanke Linie auf den Bürgersteigen. Aber nur weil die Straßen breit sind, kommen die Wagen nicht auch überall durch. Meist kommen sie weder vor noch zurück.
Der Eiswagen kommt gar nicht erst. Denn in der Stadt, aus der ich komme, gibt es nicht viele Eisesser. Das liegt daran, dass im Winter kein Schnee fällt, den man essen könnte. Die Leute haben aber auch keine Zeit, Kinder zu machen, sitzen sie doch dauernd in ihren breiten Autos in den breiten Straßen und können weder vor noch zurück.
In der Stadt, aus der ich komme, sind die Tauben grau. Das ist nicht ungewöhnlich, aber man vergisst, wenn man lang genug in dieser Stadt wohnt, dass nicht alle Tauben grau sind.
Es gibt hier auch bunte Vögel; Papageien. Kleine, nicht die großen, also solche, an die man nicht denkt, wenn man das Wort »Papagei« hört. Sie sind aus dem Zoo geflohen. Es ist ein besonders alter Zoo, mit besonders engen Käfigen. Deshalb kann sich nicht jeder eine Eintrittskarte leisten, aber da man meist nur zwei braucht, geht es schon. Unsere Vermieterin ist gerne da, obwohl die Bänke dort keine Armlehnen haben.
Die schmalen Bürgersteige teilt man sich in der Stadt, aus der ich komme, nicht nur mit Taubendreck. Auch runde Gestalten in engen, blauen Uniformen wandeln über das Trottoir. Sie kleben kleine Zettel hinter die breiten Wagen, wenn die dort stehen, wo sie nicht stehen sollten, also neben den breiten Straßen auf breiten, kostenpflichtigen Parkplätzen oder gleich auf den Bürgersteigen. Das freut die Tauben.
In der Stadt, aus der ich komme, gibt es keine Schlote und Fabrikschornsteine, doch ihre Luft lässt sich trotzdem schneiden. Nur nicht in der Innenstadt, das ist eine messerfreie Zone. Obwohl es keine Schlote gibt, gibt es in der Stadt, aus der ich komme, viele Arbeitsplätze. Jemand muss die Scherben aufkehren, die kleinen Zettel verteilen, den Leuten ihr Essen bringen. Es gibt sogar so viele Arbeitsplätze, dass es nicht genug Wohnungen für all diese Arbeitsplätze gibt. Doch zum Glück gibt es für die eng gewordenen Ellenbogen der Arbeitsplätze Armlehnen auf den Bänken dieser Stadt.
Im Kaufhaus der Stadt, aus der ich komme, sind die Rolltreppen abgeschaltet. Der beigefarbene Teppichboden ist fleckig, aber ich wühle gern im Tisch mit den reduzierten Strümpfen. Wenn man wieder herauskommt, fühlt man sich selbst ganz beige und abgeschaltet. Regiert wird die Stadt von einer Partei, die die Dinge anders machen wollte. Ich weiß nicht, ob Parteien Dinge sind, aber diese Partei ist jetzt anders.
Weil die Fahrräder neben den schönen breiten Autos keinen Platz auf dem Bürgersteig haben, hat man stählerne Fahrradständer auf die Abluftschächte des Kaufhauses gestellt. Dank der warmen Abluft setzen sich die Menschen dann auf warme Sattel und die Finger frieren nicht am Lenker fest. Denn auch wenn kein Schnee fällt, wird es in dieser Stadt im Winter kalt genug, dass man erfrieren würde, hätte man keinen Arbeitsplatz, kein breites Auto und nicht so eine nette Vermieterin.
Im Herbst und Frühling regnet es viel. Dann steigt die Luftfeuchtigkeit in unserer Wohnung, obwohl wir die zum Schneiden dicke Luft gar nicht hineinlassen. Im Sommer regnet es dafür überhaupt nicht. Dann stehen wir alle im Freibad, nebeneinander bis zur Hüfte im Wasser, und freuen uns, dass wir heute nicht arbeiten müssen. Manchmal esse ich dann sogar ein Eis. Es schmilzt so rasch; ich bin zu langsam, kann weder vor noch zurück, und rosa Erdbeereistropfen laufen meinen Arm hinunter bis zu den eng gewordenen Ellenbogen.
Christian J. Bauer, Jahrgang 1989, studierte Sprachwissenschaft und Philosophie, machte sich als Lektor und Texter selbstständig und schreibt seit früher Jugend an allem, was mit Sprache zu tun hat. In der Literaturzeitschrift »Am Erker« erschien 2020 sein Debüt »September« und 2021 »Fitzgeralds dämliche Töle«, in »Mosaik« ebenfalls 2021 »Der Schieber«.
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