Der vierzigste Geburtstag

Fernand  Muller-Hornick für #kkl27 „Loslassen, Weglassen, Unterlassen“




Der vierzigste Geburtstag

Joseph Höller hatte Geburtstag, seinen vierzigsten. Wenn er etwas hasste, waren es Geburtstage. Nicht, weil er wieder um ein Jahr älter wird, es war das Getue seiner Mutter, dem er sich nicht entziehen konnte. Jedes Jahr bekam Joseph einen Kuchen mit Kerzen zum ausblasen. Bis zu seinem achtzehnten Geburtstag stets einen Marmorkuchen, fortan eine Schwarzwälder Kirschtorte, aber ohne Kerzen. Joseph verabscheute Schwarzwälder Kirschtorte, aber er war ein braver Junge.

An diesem Geburtstag wartete Mutter bis achtzehn Uhr dreißig, dann wurde sie nervös. Ihr Sohn war sonst immer pünktlich.

Um neunzehn Uhr rief sie beim Arbeitgeber ihres Sohnes an, einer Gärtnerei. Joseph musste dort den ganzen Tag Pflanzen umtopfen oder Blumensträuße binden, er mochte diese eintönige Arbeit nicht, aber hätte er sich in der Schule ein bisschen mehr angestrengt, könnte er heute in einem Büro sitzen, vielleicht sogar auf einem Chefsessel, warf Mutter ihm stets vor.

In der Gärtnerei meldete sich niemand mehr. Mutter wurde zappelig. Wenn ihrem Sohn etwas passiert ist? In ein Altersheim möchte sie auf keinen Fall, das hat sie ihrem Sohn bereits mehrmals zu verstehen geben. Seit Vater vor zwanzig Jahren gestorben war, plötzlich, ohne Vorankündigung, war der Sohn der alleinige Mittelpunkt im Leben der Mutter. Aber wie sie Joseph kannte, würde der seine Mutter nie im Stich lassen, ein wohlerzogener Sohn wie Joseph macht so etwas nicht.

Um zwanzig Uhr rief Mutter bei der Polizei an. Lakonischer Kommentar des Beamten: der  Sohn ist ein erwachsener Mann, vielleicht ist er mit Kollegen auf ein Bier und abgesackt.

„Blödmann“, schimpfte Mutter und knallte den Hörer nieder.

Um zweiundzwanzig Uhr rief sie sämtliche Krankenhäuser an. Ein Mann namens Joseph Höller war nicht eingeliefert worden.

Außer sich vor Angst ging Mutter gegen dreiundzwanzig Uhr auf die Straße um Ausschau zu halten. Hinter den Gardinen flackerten die Bildschirme. Mutter war das nur recht. Die Nachbarn reißen doch bloß ihr Schandmaul auf. Dass sie nicht loslassen könne von ihrem Sohn. Affenliebe, alles blödes Gerede.

Als Mutter ins Haus gehen wollte, sah sie unten in der Straße zwei Gestalten.

Mutter erfasste sofort, dass ihr Sohn war. Jemand führte ihn am Arm. Dieser Jemand war eine Frau.

„Das ist meine Braut, die Rita“, rief Joseph seiner Mutter entgegen. Die erlitt fast einen Herzstillstand, fasste sich aber wieder schnell.

„Heute, an deinem Geburtstag, so etwas…“ schimpfte Mutter und wurde von Joseph unterbrochen, sie könne sich ihren Schwarzwälder selbst in den Mund stopfen.

Die Frau neben Joseph kicherte.

Mutter wurde das zu viel. Sie packte ihren Sohn am Arm und zerrte ihn ins Haus. Von niemandem lässt sie sich auslachen, und schon gar nicht von einer Hergelaufenen.

In der Stube ließ sich Joseph ins Sofa fallen, Rita klebte unlösbar an ihm.

Mutter hockte mit abfallenden Mundwinkeln gegenüber und begutachtete die Braut von Kopf bis Fuß. Gepflegt sah sie ja aus. Das blonde Haar war mit hundertprozentiger Sicherheit gefärbt. Die Fingernägel waren leicht rosa lackiert. Das hellblaue Kleid hatte einen leichten V-Ausschnitt, der Ansatz der Brüste war nicht zu übersehen.

„Wagner, achtunddreißig Jahre alt, ledig, keine Kinder. Ich arbeite bei Ihrem Sohn in der Gärtnerei, falls es Sie interessiert. Ich bin sozusagen die Oberblumenbinderin. Und in zwei Monaten  wollen wir heiraten“, fügte Rita lächelnd hinzu.

„Ist das nicht schön, Mutti? Wie heiraten, du musst uns gratulieren“, sagte Joseph, und fügte, als wenn er Mutter nicht bereits genug Kummer bereitet hätte, noch hinzu, dass er und Rita in eine andere Wohnung ziehen.

„Andere Wohnung?“, stotterte Mutter irritiert. „Aber du hast mir doch beim Tod deines Vaters hoch und heilig versprochen, immer für mich zu sorgen. Hast du das etwa vergessen?“

„Wie könnte ich das, wo ich es jeden Tag zu hören bekomme. Aber keine Angst, wir werden auch weiter für dich sorgen, gell, Rita?“, sagte Joseph.

Rita schaute etwas konsterniert, fast erbost.

„Sie ist immerhin meine Mutter, und eine Mutter soll man immer in Ehren halten, egal wie“, erklärte Joseph mit ernster Mine.

Mutter schien plötzlich wie verwandelt, ob Rita vielleicht ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte möchte, ganz frisch, heute erst gebacken, hastig eilte Mutter in die Küche, Joseph schien es, als singe sie leise vor sich hin.

Ein paar Minuten später erschien sie wieder in der Stube und reichte Rita einen Teller mit einem großen Stück Schwarzwälder. „Einen guten Appetit wünsche ich“, sagte Mutter, Rita sei ja so schlank, sie könne bestimmt einen ganzen Kuchen verdrücken.

Rita würgte den Kuchen hinunter, sie wollte nicht unhöflich sein.

Nicht einmal fünf Minuten später: ein dumpfer Aufprall. Mit verdrehten Augen lag Rita auf dem Teppich und rührte sich nicht mehr.

„Tot.“, stellte Mutter siegesgewiss fest.

Was sie getan habe, wollte Joseph wissen.

Dieses Weibsstück sei eine bösartige Frau gewesen, die ihn, Joseph, nur gegen seine Mutter aufgestachelt habe, aber das würde sich jetzt alles wieder zum Guten wenden, erklärte Mutter.

„Und was tun wir jetzt mit Rita?“, fragte Joseph, dabei Hilfe suchend auf seine Mutter schauend.

Er möge sich darüber nicht den Kopf zerbrechen, beruhigte Mutter, sie habe wie immer alles im Griff, vielleicht werde sie die Frau im Garten, oder im Wald oder auf einem Kartoffelacker begraben. Noch bevor Joseph etwas antworten konnte, nahm sie Joseph in den Arm und drückte ihn ganz fest an sich.

„Wir werden das überstehen, du musst nur ein artiger Junge sein und auf Mutter hören, dann wird alles gut.“

Joseph fühlte sich geborgen wie schon lange nicht mehr. Wahrscheinlich hatte Mutter Recht, er muss nur brav sein.




Fernand  Muller-Hornick
Geboren 1947 in Luxemburg, Beamter. Schreibt vorwiegend gesellschaftskritische Prosa, die oft ins Sarkastische mündet, fühlt sich stark zur österreichischen Literatur hingezogen.

Veröffentlichungen: u. a.: Zustände, Erzählungen, Darmstadt 1973. :Knecht oder die Liebe zu den Sternen, Roman, Zürich 1985. Sage nicht immer Mama zu meiner Mama, Erz. für Kinder, Luxemburg 1990.

.Beiträge in Anthologien, Literaturzeitschriften fast ausschließlich in Deutschland und Österreich, u.a. „Wiener Journal“, „Protokolle“ Wien (1980er Jahre), Maulkorb Dresden 2017, Experimenta, Bingen 2019, Literatur und Kritik Salzburg, 2019, Veilchen, 2020., 2021, 2022. Mosaik, Salzburg 2021. Textmanege, 2021.







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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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