Michael Eschmann für #kkl28 „Dahinter“
Borderline
Sie sagen immer Du hattest
eine so schöne Jugend.
Nur seltsam,
daran erinnerst Du Dich nicht mehr.
Die Welt
außen wie innen
so fremd, so kalt, so leer.
Und jetzt sagen sie wieder,
Du bräuchtest dringend Hilfe.
Nur seltsam,
Du willst gar keine Hilfe.
Nur wenn die Klinge langsam durch das helle
Fleisch sich ritzt,
beginnt alles sich zu lösen.
Ein Blutstrom bewegt sich
voller Wärme,
erst langsam, dann immer stärker.
Ein Schmerz gibt Atem frei und für einen kurzen
Moment jubelt es in Dir.
Nur seltsam, jetzt sagen sie wieder, Du bräuchtest einen Arzt,
Du richtest Dich so zugrunde.
Der Psychologe sagt:
„Man müsse wissen, was hinter all dem dahinterstecke, das sei nicht normal.“
Nur seltsam, das möchtest Du alles gar nicht wissen.
Denn für Dich ist das Leben gerade jetzt spürbar, wenn andere
es für Selbstzerstörung halten.

Michael Eschmann, geboren 1958 in Mannheim. Er schreibt neben journalistischen Beiträgen über Literatur und Kunst auch Gedichte, Kurzgeschichten, Hörspiele und Theaterstücke. 2015 Veröffentlichung des Dramas: „Dantons Tod in Weiterstadt“. Letzte Veröffentlichungen: „Franz Kafka in Kierling“ (Informationen eines Pirckheimers). „Wechsel“ (#kkl23 „Leitstirne und Irrlichter“), „Morgen“ (#kkl24 „Erlauben“), „Zuhause“ (#kkl25 „Raum“). *** Er betreibt in Griesheim bei Darmstadt ein Versandantiquariat.
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