Martin A. Völker für #kkl8 „Das Wesentliche“
Reifenpanne in der Uckermark
Die Nachtigall verstummt, der Tag klingt heran. Am Nullpunkt der Zeiten entsteht das Neue, ohne die Schwere des Zurückgelassenen. Duftige Dämpfe erheben sich wie entschwebende Träume über den Wiesen. Jetzt atmen, frei atmen. Der erste Luftzug schmerzt etwas in der Brust wie am Vortag die dritte Kugel Eis. Doch tiefer dringt die Morgenluft. Jetzt weiß ich, dass auch ich ein Sakralchakra besitze. Ich muss lächeln, lachen, laut lachen. Die Natur nimmt Besitz von mir. Sie berauscht mich. Immer mehr öffnet sich meine Lunge, weit über die kleine Existenz hinaus. Das Goldrote löst sich aus der Schwärze des Nichts, steigt nach oben und bereitet die bläuliche Eisflamme vor, die himmeldeckend den Tag durchlodert, bis sie als ausgehauchter grauer Nebel die Finsternis einkleidet. Wer diese Alchemie der Natur kennengelernt hat, der verwirft jede menschliche. Lehne ihn ab, den Stein der Weisen, wenn er dir versprochen wird. Zu Unrat und Schande verkommt das Göttliche als Objekt, das ständig nach neuen Besitzer:innen sucht. Einzig unser Planet ist der weise Stein. In ihm lebt und schwingt alles das zusammen, was Menschen trennen, um zu herrschen, zu richten, zu quälen. Dort hinten steht der Regen über dem Wald. Wir wollen hingehen und trinken.

Martin A. Völker, geb. 1972 in Berlin und lebend in Berlin, Studium der Kulturwissenschaft und Ästhetik mit Promotion, arbeitet als Kulturmanager und Schriftsteller in den Bereichen Essayistik, Kurzprosa und Lyrik, Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland. Mehr Infos via Wikipedia.