Gerald Marten für #kkl10 „Der nächste Schritt“
Die Schritte hinter dir
Es ängstigt dich nicht das einsam gelegene, menschenleere Haus in lichtloser
Nebelnacht, welches du allein und weit entfernt von jeglicher menschlicher
und lichterner Nähe betreten sollst und weiter hinab in den spinnwebenver-
hangenen, dunklen Keller, dort auf das Unbekannte zu treffen.
Es ängstigen dich auch nicht jene unheimlichen Geräusche, welche in gewit-
triger Nacht ums einsam gelegene Haus schleichen.
Und es ängstigen dich auch nicht die kleinen, seltsamen Schatten hinter we-
henden Fenstervorhängen.
Das alles ängstigt dich nicht.
Es sind die Schritte hinter dir.
Der Nacht bist du entsprungen und wandelst traumhaft. Sieh nicht zurück, wen-
de nicht deinen Kopf!. Doch vorne ist kein Tag, sind nur die Stufen hinauf.
Das Flurlicht schaltet sich nach einer gewissen Brenndauer wieder automa-
tisch aus. Dunkelheit plötzlich auf halber Treppe. Leise versuchst du zu stol-
pern, der Schmerz aber schreit laut im Schienbein auf. Die nächste Stufe er-
klimmst du tapsend. Lichtschalter unterhalb und oberhalb der Treppe, bräuch-
test aber einen gleich neben dir an der Flurwand. An dieser tastest du dich
entlang. Weich? Körperweich? Wo ist das feste Mauerwerk?!
Schnell die nächsten Stufen meistern, die vertraute Zimmertür der Mansarde
doch gleich da oben rechts neben dem beleuchteten Lichtschalter. Das Schien-
bein schmerzt.
Hallo, ist da wer? Dann mach doch endlich Licht, fordert dein banges Tasten
schweigend in die Dunkelheit des Hausflures hinein.
Schritte nähern sich dir hinterhältig im Rücken. Vielleicht noch fünf Stufen bis
zum erlösenden Lichtschalter. Wirklich erlösend? Willst du ES wirklich sehen?
Die Schritte nähern sich schleichend. Anschleichend? Willst du dich wirklich
umsehen?
Vielleicht noch zwei Stufen. Dein Augenschweiss schwemmt dich hinauf an
die Zimmertür. Wie friedlich hell mag es jetzt wohl im dunklen Keller sein?
Du bleibst stehen auf zwei Stufen, die Schritte hinter dir tun es dir gleich. Um-
drehen! Anbrüllen! Ins Leere treten! Nichts davon gelingt dir. In die schwarze
Leere alles nur panisch gedacht. Du verharrst wie das Mauerwerk neben dir,
keine Bewegung will dir mehr gehorchen. Nur noch der nächste, der letzte
Schritt! Der Lichtschalter so nah! Deine Gedanken schallen fordernd, brüllend
durch den dunklen Hausflur.
Plötzlich springt das Flurlicht die zu Tode erschrockene Dunkelheit an. Endlich!
Dein klopfendes Herz steigt aufatmend die letzten beiden Stufen empor, du öff-
nest hektisch mit schepperndem Schlüsselbund die Zimmertür.
Wer eigentlich betätigte den Lichtschalter? Egal! Ein Nachbar auf dem Weg zur
Arbeit oder der Zeitungsjunge vor der Haustür.
Schritte erwarten dich ungeduldig im Zimmer, als das Flurlicht wieder erlischt.
Gerald Marten wurde 1955 in Oldenburg/Holstein geboren. Diverse erfolglose
Versuche einer Berufsausbildung, u.a. in Banklehre (Oldenburg) und Geografie-
studium (Uni Kiel). Lebt seit 2013 wieder „fest“ in Oldenburg. Veröffentlichte
bislang einen Roman, sowie Kurzprosa und Gedichte verschiedenster Inhalte in
Anthologien und Zeitschriften.