Der Astrologe – eine gänzlich unwahre Geschichte

Jürgen G.H. Hoppmann für #kkl14 „Es ist schon alles da“




Auszug aus: 

Der Astrologe – eine gänzlich unwahre Geschichte

Jürgen Hoppmann, 2021 tredition Hamburg, ISBN 978-3-347-50123-2

Dresden 17:00 Neptunbrunnen

Am Hohenthalplatz wird gefeiert. Mit großem Trara schwenkt ein grün bemalter Betreuer seinen Dreizack. Laut ruft er Kinder auf, die wild kreischend davonrennen. Seine Häscher, wilde Burschen im grünen Flatterkleid, stürzen hinterher, fangen sie und flößen ihnen ekeliges Spreewald-Gurkenwasser ein, gemischt mit Ost-Limo aus Originalbeständen, woraufhin sich die zarteren Sprösslinge übergeben. Kopfüber geht es ins Nass des Brunnens, Stücke von Erbrochenem mischen sich mit Eiswasser. Urkunden mit Taufnamen werden verteilt: »Flotte Flunder«, »Heißer Hecht« und so. Ringsum Eltern, die drangsalierte Sprösslinge voller Stolz in warme Decken hüllen und trockenrubbeln unterm Heizpilz.

Alles ganz einfache Leute, die von den umliegenden Supermärkten Bier und Grillfleisch herangekarrt haben. Die Einkaufswagen stehen in der Gegend rum, voll mit Plastikmüll und Pappverpackungen, die der Nieselregen in grauen Matsch verwandelt.

Was solls! Hier gibts nur deutsche Jungs und deutsche Mädels. Es ist allemal gemütlicher als drüben in der Altstadt mit ihren modernen Luxusläden hinter künstlich auf Barock getrimmten Fassaden. Ein Disneyland für reiche Wessis und Touristen aus den Nicht-Sozialistischen Wirtschaftsgebieten.

Am Lautsprecherwagen agiert ein Schallplattenunterhalter nach Quote 40/60. Aus dem Westen »Blauer Enzian«, »Alpenglühen« und »Ich hol dir vom Himmel die Sterne«. Dazu bewährte Ostschlager vom Typ »Ein Kessel Buntes«.

Man musste sich um nichts sorgen. Der Zusammenhalt war größer. Alle hatten Arbeit. Wer nicht arbeiten wollte, kam in den Jugendwerkhof oder zum Braunkohletagebau. Zucht und Ordnung hat noch keinem geschadet. Die Mauer hielt Neger und Kanaken fern. Mal ganz ehrlich, meint der Europaabgeordnete aus Brüssel. Es war nicht alles schlecht, auch beim Adolf nicht.

Der Schallplattenunterhalter im blauen Lautsprecherwagen unterbricht sein Quotenprogramm. Dringende Durchsage:

»Aufgrund menschlichen Versagens hat sich die Sicherheitsschleuse der Unipsychiatrie geöffnet. Achtung! Autofahrer in den Stadtteilen Johannstadt, Striesen und Blasewitz bitte Schrittgeschwindigkeit. Feuerwehr und Technisches Hilfswerk bemühen sich zeitnah, die dort wandelnden Herrschaften einzufangen.«

Die deutsche Volksmusik hier am lauschigen Hohenthalplatz wird hin und wieder von Sirenengeheul übertönt. Ambulanzwagen liefern Brandopfer ins benachbarte Friedrichstadt-Krankenhaus. Das mit der Rumballerei hat seit der Silvesternacht nicht aufgehört. Irgendwelche Nachbarn, die sich gegenseitig Feuerwerksraketen ins Zimmer schießen. Ist echt zum Sport geworden.

Die deutschnationalen Sängerknaben stellen sich breitbeinig auf den Bürgersteig und schießen mit Gaspistolen auf Asylanten. Uralte Rentner heulen los, erinnern sich an Feuersbrünste in Zeiten, in denen gar nichts gut war. Mitarbeiter der Krankenhausseelsorge eilen herbei. Vor Rührung erschaudernde Ersthelfer, sensibel und empathisch. Man reicht Kleenextücher zum Reinrotzen, liegt sich weinend in den Armen. Jugendliche Täter brauchen Hilfestellung. Dargereichte Sofakissen zum Draufschlagen bieten Erleichterung. Beruhigungspillen tun ihr Übriges.

Ein Stückchen weiter, dort wo die Büsche enger stehen, hat sich derweil eine alternative Shoppingmeile etabliert: Crack, Crystal, Speed, Pep, Pot, Magic Mushrooms, Ecstasy, LSD, Koks. Sagenhaft günstig, was hier unter der Hand angeboten wird. Mit einem aufmunternden »Nu, nu, nu« wird Evi von einem pummeligen Gothic-Girlie mit kristallklaren Gratiskrümeln gefüttert.

Es gibt viele neue Wahrheiten, die das Bäckermädel aus der Oberlausitz hier erfährt. Der ungeheuer nervige Elektrokosmo aus Leipzig, der nun echt nicht wie Prinz Harry aussieht, klärt sie über Kondensstreifen auf. Alles Chemikalien, meint er. Von sächsischen Nazis in den Himmel gepustet, um den amerikanischen Geheimdienst zu manipulieren.

Sein Kumpel Starkstromastro, ziemlich freigebig, was selbst angebauten Gewürztabak betrifft, ist fest davon überzeugt, dass ganz ehrlich, erwiesenermaßen, kann man im Internet nachprüfen, die Außerirdischen für Flugzeugabstürze verantwortlich sind. Saßen am elften September in der Kabinenreihe 13, vollkommen unsichtbar – oder hat man jemals eine dreizehnte Kabinenreihe im Flugzeug entdeckt.

Elektrokosmo ist skeptisch. Er wird Kumpeline fragen, die Spökenkiekerin. Die wirft momentan Polenböller auf Gipeda-Glatzen. Muss sein, weil die Weisen den Zion kriminalisieren. Gipeda? Nie gehört, murmelt das schüchterne Gothic-Girlie und fummelt an irgendwelchen Spielkarten. Lass stecken, meint Elektrokosmo und klärt auf. Gipeda, das ist die Gesellschaft isländischer Patrioten Europas durch Abendsonne. Muss man bekämpfen. Systemfeinde.

Ein spindeldürres Punk-Gerippe kommt angewankt und Evi sieht sofort Sterne. Der Spökenkieker-Kumpeline ist ihr letzter Böller, komisch kosmisch, gerade in der Hand losgegangen. So also riecht verbranntes Menschenfleisch, meint Starkstromastro anerkennend. Tütchen sei übrigens fertig. Der Rauch macht die Runde. Eine romantische Probierstube zwischen den Büschen. Man ist ungestört.

Vom blauen Lautsprecherwagen am Neptunbrunnen dröhnt »Hells Bells« von AC/DC. Der zugedröhnte RB-Leipzig-Fan, dem die heldenhafte Aktion zu verdanken ist, wird mit Dynamo-Dresden-Schals stranguliert. Aber nur halb, denn der Blockwart geht dazwischen. Man vertagt die Aktion auf morgen. Kräfte sparen für die Entscheidungsschlacht am Bärenzwinger.

Gothic-Pummel will darauf ein Kärtchen ziehen. Elektrokosmo meint, sie soll lieber die Hanftüte weiterreichen. Kumpeline pult am verschmorten Finger. Am Marstag wird sie es diesen Stasi-Schweinen schon zeigen.

Ganz falsch, erläutert Starkstromastro, der echt den Durchblick hat. Die Ossis, das seien verkappte Royalisten, weil, und jetzt kommt der Beweis: Erich Mielke ist der uneheliche Enkel von Friedrich August III., dem letzten Sachsen-König, der beim Abgang sagte: »Macht doch Euren Dreck alleene«.

Kumpeline ist irritiert.

»Ich liebe euch doch alle, das sagte der – oder?«

Elektrokosmo fällt fast der Joint runter. Schluss mit lustig! Keine Adelsanbiederung. Sonst kündigt er die internationale Solidarität des Schwarzen Blocks. Starkstromastro springt auf: Schwarzafrika? Ist das hier ne Rassistenparty? Die Dicke im Gothic-Kostüm gerät in Panik. Vor lauter Aufregung kommt sie gegen die Plastiktüte mit dem Marihuana. Alle kriechen zwischen den Büschen rum, um verstreute Krümel aufzuklauben.

Evi strengt sich ziemlich an, um die ganzen Wahrheiten zu sortieren. Das mit den Royalisten: Ob ihr Maximilian ein Kaiserprinz ist, wie Piet van Ruimte es behauptet? Starkstromastro ist im Flow. Sein Hirn ist auf Hypermodus. Max bedeutet »Der Größte«. Ob das auch für kleine Polizeistudenten gilt, will Evi wissen. Aber glasklar, meint Elektrokosmo. Bullenschwein ist Bullenschwein, ob groß oder klein. Könne sie im großen MAD-Buch der Weisheit nachlesen.

Das Bäckermädel wird hellhörig. Militärischer Abschirmdienst? Starkstromastro kann sich vor Lachen kaum einkriegen. Fummelt einen arg zerfledderten Comicband aus der Jacke. Vom Titelblatt grinst ein Bürschchen mit Zahnlücke, Eselsohren, angeklebtem Bart und Zauberkostüm, blau-gelb in den Europafarben.

Total verpeilt, die Frau, meint Starkstromastro und nimmt ihr das Tütchen aus den verschmorten Fingern. Inhaliert kräftig. Hustet sich fast die Kehle aus dem Leib. Würgt grünen Schleim. Spült mit Sternburg Pils nach. Zieht den Rest vom Rotz die Nase hoch. Bekommt noch was ins Ohr geflüstert. Meint, da gäbe es einen fernöstlichen Universumsheini, im Taxi abgesoffen. Wird dem Max noch gefährlich werden. Ein Zweigesichtiger mit breitem Bart ebenfalls.

Evi muss ihren Lover unbedingt warnen und ne Mail schreiben. Jetzt gleich! Nur mal kurz hinter die Büsche. Muss sein. Oder doch nicht. Eigentlich wollte sie aufs neue Jahr anstoßen. Prost, Peace, Om Shanti, Halleluja. Kaut Kristallkrümel. Engelsgleiche Sirenentöne überall. Roboter-Androiden greifen an. Sie schlägt zurück, mit blitzschnellen Schlägen. Die Community wird in Raumtransporter verfrachtet. Auf zu fernen Galaxien!




Jürgen G.H. Hoppmann

jgh-hoppmann@t-online.de

www.ArsAstrologica.com/thriller

https://www.autorenwelt.de/person/juergen-g-h-hoppmann

Parallel zu jeweils herrschenden Glaubensrichtungen

existiert die Sternenkunst – weltweit, in jedem Land

und allen Kulturen, seit Menschengedenken.

Diesem faszinierenden Phänomen widmet sich

der Autor in Kunstprojekten, Architektur, Bildhauerei,

Schauspiel, Film, Literatur und Musik.





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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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