Mario Schemmerl für #kkl15 „Nähe“
Die Polster Sache
Gestern wieder Armins Blick von der Seite, als wären wir uns neu. Die letzten Wochen leben wir ein Parallelleben. So haben wir uns das nicht vorgestellt. Ich bin genau in dem Beruf, den ich machen will. Arbeite in dem Haus, in das ich wollte und trotzdem. Die Geschichten aus dem Pflegeheim kann er schon nicht mehr hören. Falls er jemals ein schwerer Pflegefall werden sollte, solle ich ihm gefälligst den Polster aufs Gesicht drücken, das wäre ein Akt der Erlösung, hat er gesagt, und zum Glück hat er dann aufgehört.
Das hat er aus dem Film mit dem alten Mann, der einen Liebesakt daraus macht. Seine schwer kranke Frau in den letzten Schlaf legt. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Der Gedanke widert mich an und stellt alles gelernte in Frage.
Während ich das nicht mehr denken will, treibt es mich durch die Gänge und ich weiß gar nicht wohin. Es kommt mir vor wie eine große Lacke, nicht wie in einem See. Andauernd mache ich mich nass, ohne je eine Bahn gezählt zu haben.
Frau Uhl ist an der Reihe. Ich stehe an ihrem Bett. Höre sie Murmeln. Sehe wie sie mit glasigen Augen in Embryostellung an die Wand starrt.
Wer möchte schon mit ihr tauschen, ich nicht. Aber die Polster Sache, um Himmelswillen, nein, das geht überhaupt nicht. Falls Armin nochmal sowas von sich gibt, dann werde ich ihm sagen, er soll den Scheiß für sich behalten. Wir begleiten hier die Leute sanft Richtung Jenseits, nicht mit Nachdruck, denke ich mir.
Kein Sterbenswort von Frau Uhl, keine Einwände, nichts, nur Gemurmel. Obwohl ich glaube, das zarte Nicken, dass sie zwischendurch von sich gibt, könnte auch eine Aussage sein. Im Hebelifter sieht sie niedlich aus. Schon eigenartig, wenn ich daran denke, wie lange sie schon gelebt hat und ich kaum was weiß davon. Ihre Gegenwart ist mir ein Rätsel. Und ihre Zukunft wird wohl lahm, gleich und kurz. Bestimmt hat sie Essen gekocht, staubgesaugt, Sex gehabt, was auch immer. Frau Uhl bleibt in ihrem Nebel, während draußen der Tag aufklart, die Sonne auf ihren Platz strahlt und ich den stillen Raum verlasse.
Ich werde jetzt mehr bei der Sache sein. Innerlich schwöre ich mich auf Eddie Ramsak ein. Er ist jemand der gerne die Hände aneinander reibt. Und sein Körper, die reinste Narbenlandschaft. Ich hoffe, es beruhigt ihn etwas, wenn ich ihm sage, dass wir nur ein bisschen waschen werden. Irgendwie will es mir heute nicht so gelingen. Meine Aufmerksamkeit entgleitet mir wie Waschwasser. Dabei ist es eine schöne Sache, das zeitanhaltende Plätschern zu hören. Ich mache den Waschlappen extra nass und drücke ihn fest aus. Tropf, tropf, tropf.
Seine riesigen Bauernhände klammern sich an meinen Unterarm. Locker lassen Eddie, sag ich mit leichter Strenge. Es hilft nichts, es muss schnell gemacht werden. Zügig waschen. Vom Stuhl säubern. Hin und her drehen. Am besten gleich im Bett anziehen. Im Rollstuhl angekommen, sieht er mich an, als wäre er gerade auf einem anderen Kontinent gelandet. Und ich weiß, Armin hat nie auch nur eine Stunde hier gearbeitet.
Mario Schemmerl. 34 Jahre alt. Komme aus Graz.
Bin Diplomierter Gesunden und Krankenpfleger – in einem Pflegeheim in Graz Umgebung.
Erstveröffentlichung: Willkommen in der Wunde (2021) – Longlist Youngstoryteller Award 2021
Arbeite zurzeit an einer weiteren Veröffentlichung für den Youngstoryteller Award 2022
(Kurzgeschichten aus dem Pflegeheim)
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