Linda – Die Suche nach Nähe

Stefan Eckelbacher für #kkl15 „Nähe“




Linda – Die Suche nach Nähe


Linda war ein junges Mädchen. Sie ging noch zur Schule. Unterstufe, Sportgymnasium. In der Pause hatte sie früher immer mit ihren Freunden getratscht, ihre Jause geteilt und sich über die Naturwissenschaftler lustig gemacht. Die bewegten sich so eigenartig und benutzten eine ganz andere Sprache. Eigentlich ging sie jeden Tag gerne zur Schule. Ihre Klassengemeinschaft war einzigartig und sie fühle sich stets geborgen. Als sie in die Oberstufe kam, wurde alles anders. Ihre besten Freunde gingen von der Schule und in ihre Klasse kamen zahlreiche, neue Schüler. Dank ihres Smartphones konnte sie den Kontakt aufrechterhalten. Wie einen Liveticker verwendete sie den Messenger, um ihre alten Freunde über auch nur jeden kleinsten Vorfall in der Schule zu informieren. Bald wurde das mühsam. Linda ging dazu über, Stories zu posten, um nicht jeden einzeln berichten zu müssen. Sie hatte ein Händchen dafür, ihre Kamera genau im richtigen Moment bereitzuhalten und die lustigsten Videoaufnahmen zu erfassen, sodass mehr und mehr Menschen sich ihre Videos ansahen. Nach einigen Monaten hatte Linda bereits über eine Million Follower. Sie war medial regelrecht explodiert. Um ihre Follower bei Laune zu halten, postete Linda bis zu drei Videos pro Tag. Die Schule war ihr mittlerweile zum Laster geworden, da sie sich wünschte, mehr Zeit mit ihren Followern verbringen zu können. Sie studierte jeden Kommentar bis ins genaueste und versuchte auf alle Fragen gewissenhaft zu antworten. Die größte Teil ihrer Zeit verbrachte Linda allein vor ihrem Smartphone, dennoch hatte sie das Gefühl zu einer Gemeinschaft zu gehören. Oft musste sie auf das gemeinsame Abendessen mit ihrer Familie verzichten, weil sie mit der Bearbeitung ihrer Videos nicht fertig wurde. Ihre Eltern nahmen ihr dies nicht Übel – ganz im Gegenteil. Vor ihren eigenen Bekannten prahlten sie voller Stolz über den Fleiß ihrer Tochter, die bereits jetzt schon mehr verdiene als sie beide zusammen. Der tägliche Gang zur Schule wurde für Linda immer schwerer. Sie konnte nicht einfach fünf bis sechs Stunden am Stück abwesend sein, ohne von hunderten Fragen und Kommentaren gelöchert zu werden. Für ihre Abwesenheit musste sie sich regelrecht rechtfertigen. Als sie ihre ehemaligen Klassenkameraden zu einer Party einluden, konnte sie nicht kommen, da sie für diese Zeit bereits einen Livestream angekündigt hatte. Oft weinte Linda, nachdem sie ihr Smartphone vor dem Schlafengehen im Flugmodus auf ihr Nachkästchen gelegt hatte. Doch keiner konnte sie hören. Als sie in einem ihrer Videos einmal andeutete, dass es ihr nicht gut ginge, schwankte schnell die Stimmung. Sie solle froh darüber sein, mit sechszehn bereits so viel zu besitzen, wie andere in ihrem gesamten Leben nicht verdienen können, war die einhellige Meinung. Linda begann darüber nachzudenken. In der Tat hatte sie mehr Geld, als sie ausgeben konnte. Statt zur Schule ging Linda einkaufen, essen und vergönnte sich jede noch so kleine Annehmlichkeit, die ihr in den Sinn kam. Die Follower feierten ihren Lebensstil. Besonders das Essen bereitete Linda die größte Freunde und innerhalb von zwei Wochen hatte sie beinahe jedes Restaurant, jede Eisdiele und jeden Bäcker der Stadt durchprobiert. Durch den fehlende Sport in der Schule und das viele Essen gewann Linda zunehmend an Gewicht. Erst konnte sie dies vor ihren Followern durch neue Kleidung geschickt verschleiern, doch nach und nach erreichten sie spöttische Kommentare. Die nächtlichen Tränen und täglichen Fressorgien mehrten sich – ein Teufelskreislauf begann. Linda wurde es eines Tages zu viel, sie verzichtete auf ihr Smartphone und ging zur Schule. Einen Monat war sie nicht erschienen und natürlich zog sie durch ihre verwandelte Erscheinung auch dort den Spott auf sich. Ihre alten Freundinnen, bei denen sie sich seit Ewigkeiten nicht gemeldet hatte, wollten von ihr ebenfalls nichts mehr wissen. Linda war verzweifelt. Selbst ihre Eltern begannen sie zu rügen, als sie nur noch lustlos vor dem Fernseher lag und keine Anstrengungen mehr unternahm, Videos zu drehen und ihre Follower zu unterhalten. „Du hast doch alles, was man nur haben kann, an was fehlt es dir denn?“, waren die höhnischen Kommentare ihrer Eltern. Melancholisch sinnierte Linda über die gute alte Zeit. Keiner konnte sie verstehen. Aus dem unendlichen Trübsal, den nächtlichen Tränen und der mitunter höchst depressiven Stimmung gab es nur einen einzigen Ausweg. „Kann ich das wirklich machen? Kann ich es meinen Eltern antuen? Wie kann ich mich dazu überwinden?“, waren die Fragen, die Linda tagein, tagaus quälten. Doch eines Tages, an dem ihre Stimmung den absoluten Tiefpunkt erreichte, fasste sie den Entschluss. Sie werde es jetzt durchziehen und ihren Leiden ein für alle Mal ein Ende bereiten. Heimlich und still und ohne dass jemand davon erfahren wird. So geschah es auch. Von diesem Tag an hatten weder ihre Eltern noch ihre ehemaligen Schulkollegen oder Follower Linda jemals wieder gesehen…
Fünf Jahre später. Nahe eines spanischen Vororts sitzen etwa zwei dutzend junge Erwachsene vor einem Lagerfeuer, singen und braten Gemüse, welches sie aus ihrem eigenen Garten geerntet hatten. Sie wohnen in einer verlassenen Villa, die sie in den letzten Jahren selbst mit mühevollster Hingebung renovierten. Den Hintergrund bilden eine Idylle von Olivenbäumen und drei planlos, grasende Ziegen. Die Gemeinschaft lebt größtenteils autark und spendet produzierte Überschüsse an Bedürftige. Am Lachen in ihren Gesichtern und an der Aufmerksamkeit ihrer Gespräche ist eine starke Gemeinschaft zu erkennen. Durch ihren Lebensstil suchen sie eine authentische Verbindung zur Natur und zu ihren Mitmenschen. Größtenteils handelt es sich um Menschen, die mit dem bestehenden System zu kämpfen hatten, die die Entfremdung am eigenen Leib erfahren hatten, die Kapitalismus und Konsum den Rücken kehrten und sich hingaben zu einer Form des Lebens, in der die Schönheit ihres eigenen Wesens erkannt und geschätzt wurde. Eine davon war Linda.







Stefan Eckelbacher

„alternativer Jurist, vielreisender Humangeograph, fesselnder Autor.

Bereits im sehr jungen Alter war ich vonSprache fasziniert, sodass ich mit vier Jahrenbereits meine ersten Geschichten schrieb. Ichwollte meine sprachlichen Fähigkeiten imSinne der Gerechtigkeit einsetzen undstudierte deshalb Rechtswissenschaften.
Nach meinem Studium arbeitete ich als Juristbei ÖKOWind und half bei der Verwirklichungvon drei Windkraftprojekten inNiederösterreich mit. Nach und nacherkannte ich, dass meine künstlerischenInteressen bei dieser Tätigkeit auf der Streckeblieben und beschloss eine Auszeit zunehmen (Bildungskarenz). In dieser Zeitentstand mein Debütdrama „Ewiges Leben“,in dem sich der Hauptprotagonist David imZeitalter der Königreiche sowohlindividuellen, als auch gesellschaftlichenHerausforderungen stellen muss, die einenunmittelbaren Gegenwartsbezug aufweisen.

DIPLOMSTUDIUM DERRECHTSWISSENSCHAFTEN Johannes Kepler Universität | 2012-2018

MASTER IN HUMANGEOGRAPHIE Radboud University NijmegenUniversität | 2018-2019

MASTER IN ETHIK UND PHILOSOPHIE Universität Wien | seit 2020

Interessen:

Psychoanalytik und Psychotherapie ( Sigmund Freud, Erich Fromm, Carl Gustav Jung, Irvin Yalom) (Post-)Strukturalismus (besondersMichel Foucault) Dystopie und Sozialismus (GeorgeOrwell)“





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Veröffentlicht von Jens Faber-Neuling

Redakteur von #kkl Kunst-Kultur-Literatur Magazin und ZeitenGeist Magazin, Autor, Trainer und Coach im Bereich Bewusstseinserweiterung, glücklicher Papa und Ehemann.

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