HENRIETTE TOMASI, für #kkl18 „sowohl als auch“
Sie spricht aus mir
Ich entwerfe Wortkonstrukte
die das Leben fangen
die mal Brief, mal Botschaft
mal Geschichte, mal Gedicht.
Gefangen ist sie manchmal
meine Seele
hinter steinernen Mauern
hinter Hecken, Gräben
doch sie schleicht heraus
macht sich klein, mal groß
breitet ihre Flügel aus
singt im Verborgenen.
Ihre Lieder der Liebe voll
der Freude und der Hoffnung –
mal getränkt des Leids
mal getrübtes Grau.
Doch ihr Zauberstift vollbringt
das Kunststück und entfaltet
tausendfach den Spiegel dieser Welt
der auf ihr klebt.

Farben
Ich wandele umher
suche die Farben in meinen Erinnerungen
finde mal die Deine
mal die Seine
kann mich nicht entscheiden
habe schon jetzt Sehnsucht
nach dem ersten Tag ohne ihn
und ohne ihn
die Gesichter verblassen
die Berührungen des einen
wie Flecken auf der Haut
die Worte des anderen
wie Flecken im Geist.
Zeichnen
Ich kämpfe
auf den Schichten der Haut
in den Winkeln
zwischen Herz und Hirn
in den Strassen und Pfaden
zwischen Zeh und Po
fast verliere ich mich
in den Hügeln weit
bis hin zu Schultern Händen.
Ich betrete die Wege
verworren ziehe ich Linien
hinein
überschneidend
sich verlaufend
unendlicher Bewegung folgend.
Lose Enden wiegen sich
ins Leere
Schwingende Kurven
schneidende Geraden
umschließende Strecken
durchfliessen den Raum.
Twist
unsichtbare bänder
farbiger elemente
leise klangfiguren
hüpfend
sich windend
entlang sich ziehend
zur weite sich dehnend
in nähe sich schmiegend
zufällig spielende linien
fallengelassene punkte
spritzer kleckse
farben laufen
verliebtes spiel
ein betasten der leere
ein komponieren des klangs
den die form einfangen kann
Glück
Das Lachen schäumte über –
die Grenzen des Herzens
farbig beschmiert mit Wogen
überschwappenden Glücks
drinnen das Spiel der Moleküle:
Vergangenheit
Immer noch die Federn fangen
dem Winde nach
unendlich hoch die Hände strecken
nach Resten des Glücks
Gefieder, das bei Licht geschüttelt
Gegenwart
Enttarnt
Dein Blick glitzert
in meine Augen
verheddert sich
in meinen Haaren
die aus der Spange fallen.
Ich lache
schaue Dich im Spiegel an.
Du freust Dich
über den neu entdeckten
Schelm in mir.
Ich betrachte Dich.
Enttarnt – wir beide.

HENRIETTE TOMASI, geb. 1969 in Königstein, 1993 – 1997 Studium Schmuck- und Gerätgestaltung, seit 1997 freischaffende Künstlerin, diverse Ausstellungen und Auszeichnungen im In-und Ausland, vertreten in öffentlichen Sammlungen, seit 2013 Verfassen von Wortkompositionen und Prosaskizzen, seit 2016 Veröffentlichungen in Anthologien und Zeitschriften
www.wortkompositionen.jimdofree.com
Über #kkl HIER